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Brief vom 14. Oktober 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


773.


[290]
Marly den 14. October 1711.
… Vergangenen Dinstag ging ich die allmächtige dame zu besuchen; sie sagte mir, ich solte meine damen in die andere cammer schicken. Sie fing so ernstlich ahn, daß mir das hertz drüber ahnfing zu klopffen, ich meinte, ich würde meine lexion bekommen. Ich machte ein kurtz examen, fandt doch nichts. Sie sagte mir, daß der König ahn mein sohn undt seine gemahlin die conduite von ihrer dochter[1] ahnbefohlen undt mir nicht, weillen I. M. festiglich geglaubt, daß ich es, wie es billig ist, von mir selbst thun würde; weillen I. M. aber vernohmen hetten, daß ich ihr, seyder sie die commission ahn herr vatter undt fraw mutter geben, gar nichts mehr sage, so hetten sie ihr, mad. de Maintenon, befohlen, mir von I. M. wegen auffzutragen, hinfüro das junge mensch zu predigen. Darnach hatt sie mir alle punckten gesagt, worauff ich predigen solle. Ich sagte, ob zwar das predigen eine verdrießliche sache ist, so nehm ich doch die commission, umb I. M. in dieß zu erweißen, daß ich ihnen allezeit gehorchen wolle in was sie mir befehlen mögen, aber ich bätte I. M., sie mögten der duchesse de Bery sagen laßen die commission, so sie mir aufferlegt, damitt es ihr desto mehr impression geben würde. Das hatt der König gethan. Abendt ist vatter, mutter undt dochter zu mir kommen; ich habe gleich ahngefangen: mein [291] liebes kindt, ihr wist selber woll, daß ich euch seyder ewern heüraht nur einmahl geprediget habe; mein intention ist auch geweßen, es nimmer mehr zu thun, allein ich habe heütte eine ordre entpfangen vom König, dem ich, wie ihr woll dencken könt, nicht widerstehen kan, eüch außzulegen, warumb er euch vergangen Montag nicht mitt sich in sein calesch auff die jagt geführt hatt undt daß die ursach ist, daß alle ewere conduite dem König mißfehlt, habe ihr hernach alles stück vor stück vorgetragen, dabey gesetzt, daß, wenn sie begehre, perfect unglücklich zu werden, solle sie nur fortfahren, wofern sie aber glücklich wolle werden, müße sie erst ahnfangen, sich von jederman so beliebt zu machen, alß ihr eüch bißher habt haßen machen; wenn dan der König durch jederman erfahren wirdt, wie sehr ihr eüch in allem werdet corigirt haben, wirdt er gar gewiß seine gnade wider zu eüch wenden, also nehmbt nur ein gutt hertz, betracht alles was zu ewern besten dinnen kan undt folgts, so werdet ihr eüch undt unß glücklich machen. Ich habe noch viel mehr gesagt, so zu lang zu verzehlen sein solte. Sie hatt bitterlich geweindt undt sehr versprochen, sich zu endern. Mich verlangt zu hören, ob der Czaar nun manirlicher geworden ist undt wie er sich nun bey E. L. stellen wirdt. Die damen in Moscau müßen gar keine leibstück tragen, daß der Czaar fischbein vor rippen helt[2]. Die Turcken haben dem König in Schweden woll schlegt gedint; das war der mühe nicht wehrt, 2 jahr zu Bender zu bleiben undt niemandts zu sehen. Mich deücht, König Augustus fengt serieuse affaire ahn, führt sie aber nicht woll auß, denn es kompt eine metres oder eine meß von Leibzig darzwischen, wo er nachlaufft undt denckt nicht mehr ahn sein project.
Es ist doch ein wenig hart, daß kinder ihr leben nicht ahn ihre fraw mutter gedencken; hatt sie[3] andern tort gethan, hatt sie ihnen doch das leben geben undt gelitten, sie auff die weldt zu bringen. Ich glaube, daß E. L. sich mitt ihren enckeln divertiren.
Unßer Herrgott hatt Hameln durch die refugirte ihre verlohrne kinder wider ersetzt, so der ratzenfänger weggeführt hatte in Siebenbürgen, wie E. L. woll wißen … Ich habe mons. Leibnitz andtwort ahn mons. Baudelot[4] geben, denn mir seindt die gelehrten sachen zu hoch …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 14. Oktober 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 290–291
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0773.html
Änderungsstand:
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