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Brief vom 22. Oktober 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


774.


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Versaille den 22. October 1711.
… Ich schicke E. L. hirbey ein mützgen, wie die kinder undt gar junge medgen es tragen; dabey ist auch ein abriß, wie die kinder es tragen. Der jungen leütte mützger seindt nicht anderst, der eintzige unterschiedt ist, daß alle kinder es gantz geradt tragen, junge damen aber setzen es ein wenig scheff auff, laßen es auffs rechte ohr hencken. Ich glaube, daß I. L. der Churprintzes, so so schöne farben hatt, dieße mode woll stehen wirdt[1]. Mons. Leibnitz hatt woll gethan, zu erweißen, wie man ihm unrecht gethan, wenn man ihm glaubenichts geheyßen hatt. Apropo von glaube nichts: la Farre[2], der all sein leben schir profession davon gemacht, ligt nun auff den todt, ist gar bang vor sterben, hatt gebeicht, communicirt undt offendtlich umb verzeyung gebetten, so viel scandal gegeben zu haben, hatt dabey versprochen, daß, wo unßer Herrgott das leben noch friste, wolle er der epicurischen philosophie gantz absagen undt gar ein exemplarisches leben führen. Mich deücht, es were beßer, ein ordinarie leben zu führen, alß zu erweißen, daß man bang ist, wenn man sterben soll …
Die vers von Corneille undt Racine, wie auch die commedien von Molliere bin ich eben nicht müdt, wenn sie nur woll gespilt werden, aber es seindt nun gar schlegte commedianten ins Königs troupe; die weiber gingen noch woll hin, aber die männer deügen nichts. Die teütsche troupe ist der fatigue gewohnt. Ich liebe ja die commedien genung, daß man mir davon reden mögte, warumb solte das E. L. gerewen? Der Czaar muß einen ahnschlag haben, daß er so nach hauß eylt, oder solte er so große eyll nach seiner corporalsfraw[3] haben?
Es ist mir recht von hertzen leydt, daß ich das glück nicht haben kan, mitt E. L. die alten hertzogen von Braunsweig zu sehen[4]. Ich sehe so gar [293] gern contrefaitten. Mich deücht, man mahlt die Melusine mitt hauben mitt zwey spitzen undt einem langen flor drüber, einen rock mitt enge ermel undt just ahm poignet hengt wider ein flor wie ein engageante. Ich bilde mir ein, daß E. L. alte hertzogin eben so gekleydt ist. Mich deücht, daß, wie E. L. des alten hertzogs tracht beschreiben, ist einer in dem buch, so E. L. mir haben beliebt zu schicken von dem, so sich in allen alter hatt mahlen laßen[5]. Ich bin fro, daß E. L. das amusement haben; die gewohnheit thut viel, eine tracht schön oder häßlich zu finden.
Wo mir recht ist, so geht das lutherische liedt Wo soll ich fliehen hin[6] auff die melodey von dem Von Gott will ich nicht laßen[7]. Dießes ist das erste lutterische liedt, so ich in der kirch zu Hannover gehört habe. Ich habe jetzt erfahren, wer der masquirte mensch geweßen, so in der bastille gestorben[8]. Es war gar keine barbarie, daß er so masquirt geweßen; es war ein englischer mylord, der in der affaire mitt begriffen vom duc de Berwick gegen König Wilhelm. Dießer, damitt König Wilhelm nie erfahren mag, wo er hinkommen, ist so gestorben. Dieße schlimme mode aber hatt man hir, daß man den leütten selten sagt, was [man] gegen sie hatt, undt keine verthätigung erlaubt.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Oktober 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 292–293
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0774.html
Änderungsstand:
Tintenfass