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Brief vom 15. November 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


775.


[293]
Versaille den 15. November 1711.
… Man tractirt mich beßer alß vor dießem, allein man will mich noch in kein particulier haben, also habe ich mich noch nicht zu berühmen, daß man meine geselschafft ahngenehm findt. Mein pupil[1], so man mir auffgetragen, helt sich nun Gott lob beßer undt profitirt von meinen predigen, Gott gebe nur, daß es dawern mag; vatter undt mutter sagen nichts, wurden gantz attendrirt in meiner predigt, die dochter weinte bitterlich, [ich] gab ihr kein eintzig böß wordt, contrarie ich bejammerte sie sehr, daß sie so übel erzogen sey worden undt mitt all ihrem gutten verstandt ihre schuldigkeit nicht gelehrnt hette noch was ihre schuldigkeiten erforderten, welche unßer [294] Herrgott doch eingesetzt hette, umb unß glücklich in dießer undt jener welt zu machen, daß es mir leydt were, daß man mir die commission geben hette, sie zu filtzen, daß ich sie aber vor so raisonable hilte, daß ich nicht zweyffelte, daß, wenn man ihr erweißen würde, was einer großen fürstin, wie sie nun seye, zukomme, was sie zu fliehen undt zu folgen hette, was sie dem König, ihrem herrn, wie auch vatter, mutter, dem dauphin undt dauphine schuldig were, undt ahn sich selber, so würde sie gantz von conduite endern undt suchen, sich von jederman beliebt zu machen, worinen ihr glück bestehe; daß ich ihr nichts von unßerm Herrgott sage, daß dießes mir zu hoch were, daß ich nicht würdig genung davon reden könte, überlaße derowegen solches ihrem beichtsvatter, sage aber nur, daß nichts heßlicher stehet, wenn man von ihrem alter ist, [als] sich zwingen zu wollen, keine Gottheit zu glauben, daß dießes nicht allein Gottes zorn undt straff müße nach sich ziehen, sondern auch aller menschen verachtung, indem unß christen befohlen were, gott von gantzem gemühte zu lieben undt seinen negsten alß sich selbst, daß sie diejenigen, so sie in dießen bößen maximen unterrichten, ihre große feinde weren, indem sie sie suchten in dießer undt jener welt unglücklich zu machen, aber ich, die [ich] sie nur alß mein kindt undt enckel betracht, wünsche nichts mehr in dießer welt, alß sie vollkommen glücklich zu sehen, daß ich mein eygen glück in meinem alter darauff bawete … Mein harangue war noch lenger, aber ich förchte so sehr, E. L. schon langeweille gemacht zu haben, daß ich auffhöre. Mein sohn verdirbt offt, was ich lang gutt gemacht habe. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. November 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 293–294
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0775.html
Änderungsstand:
Tintenfass