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Brief vom 14. Februar 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


782.


[299]
Marly den 14. Februari 1712.
Wir seindt hir voller betrübtnuß, denn vorgestern abendts umb 3 viertel auff 9 ist die arme madame la dauphine verschieden[1]. Ich bin persuadirt, daß die docktoren dieße arme printzes so gewiß umbs leben gebracht haben, alß ichs E. L. hir sage. Sie hatten ihr ein wenig meledy kent[2] eingeben, nur etlich grain, da fing sie sehr ahn zu schwitzen; man hatte aber die gedult nicht, den schweiß gantz außzuwartten: in mitten von schweiß, da sie schon gantz feüerroht von den rödtlen außgeschlagen war, setzt man sie in warm waßer undt lest ihr zum vierten mahl zur ader, da schlug [300] alle rödte wider ein … Nun ist alles auß. Ich kan den König nicht ahnsehen ohne daß mir die threnen in die augen kommen; er ist in einer solchen betrübtnuß, daß es ein stein erbarmen mögt.
Ich mache E. L. mein compliment über die glückliche niederknufft Dero enckel, der cronprintzes von Preüssen[3]. Gott wolle dießen printzen lange jahre erhalten. Der König in Preüssen muß doppelte freüden dran haben, erstlich die, einen enckel zu haben, undt zum andern, eine neüe occasion, eine ceremoni zu halten, welches woll bey der kindttauff nicht fehlen wirdt. Ich admirire, wie alles so unterschiedtlich in dießer weldt hergeht: unterdeßen daß man zu Berlin in vollen freüden ist, seindt wir alle in voller betrübtnuß undt einsambkeit hir … Die cronprintzes ist nicht lang in kindtsnöhten geweßen; 3 stundt undt eine halbe, man kan ja nicht weniger sein, insonderheit da es so ein glücklich endt genohmen. Freylich kan man auff nichts bawen, wer hette nicht auff mad. la dauphine glück gebawet, nun ist alles dahin. Mons. le dauphin ist hertzlich betrübt, aber er ist jung, er kan sich wider verheürahten undt seinen schaden ersetzen, aber mad. de Savoye[4] verlust ist auff ewig, wie auch unßers Königs seiner, denn man hatt sie gantz nach seinem sinn erzogen, sie war all sein trost undt vergnügen undt von so einem lustigen humor, daß sie allezeit etwaß finden konte, ihn wider lustig zu machen.
Wenn man sich in die finger butzt, wie mein hero, der Czaar, thut, solle man meinen[5] knebelbardt tragen, denn das butzen in die finger kan drauff hencken bleiben undt das ist nicht apetitlich zu sehen, insonderheit ahn taffel. Weill er groß air hatt, muß er eine schöne taille haben; mich wundert, daß seine leütte ihn so sehr respectiren, denn ich glaube, daß er sich doch gar gemein mitt ihnen macht. Aber alles was ich von dießes Czaaren verstandt höre, gefelt mir auß der maßen; ich halte ihn vor einen rechten heros, nehme auch seine parthey hir in alles. Das muß doch der Czaarin mißfahlen, daß ihr herr so debauchirt ist undt bey ihre drey freüllen kinder ahngestehlt hatt; aber Catterintien[6] darff woll nicht jalous sein. [301] Das macht mich ahn ein alber liedt gedencken, so die Villanova[7], so mein freüllen geweßen, alß sange:
Ich undt mein Cathreingen wir gingen zu dem bier,
Ich undt mein Cathreingen wir druncken ein maß oder vier;
Ich undt mein Cathreingen wir gingen zu dem wein,
Ich undt mein Cathreingen wir druncken ein maß oder neün
.
Die moderation undt sorg von der Czaarinen, zu fürchten, daß man ihre schwangere freüllen blessiren mögte im tantzen, ist recht poßirlich, sie muß sie vor camerattinen halten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 14. Februar 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 299–301
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0782.html
Änderungsstand:
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