Seitenbanner

Brief vom 27. März 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


792.


[308]
Versaille den Ostertag 27. Mertz 1712.
Dießen morgen habe ich nur 5 viertel stundt, E. L. zu entreteniren, welche ich aber doch nicht verseümen will. In dießem augenblick singen E. L. [309] Christus ist ersta-a-anden von der marter aller, deß wir sollen fröllig sein, Gott loben undt ihm danckbar sein undt singen all haleluja haleluja[1], oder: Erstanden ist der h. Christ hale-hale-haleluja, der aller welt ein tröster ist, hale-haleluja, undt wo er nicht erstanden, hale-hale-haleluja, so wer die welt vergangen hale etc. … undt weill er nun erstanden ist, hale-hale-haleluja, so loben wir den herren Christ, hale-haleluja. Sünge man dieße geistliche lieder heütte hir, könte ich es nicht mitt singen, denn seyder Donnerstag hab ich einen solchen abscheülichen husten bekommen, daß ich kaum reden kan; das wetter ist auch gar zu unbeständig; umb 2 nachmittags war es so warm, daß man schwitzen konte, aber umb 4 kam ein starcker frost also, daß ich recht kalt hatte, fing gleich ahn zu husten … Die docktoren gestehen woll, daß sie mons. undt mad. la dauphine übel tractirt haben, indem sie gestehen, daß sie die kranckheit nicht gekandt haben. Vor dießem war mein sohn von jederman geliebt, seyder der spanischen sach hast ihn gantz Paris undt seindt nicht froher, alß wenn sie waß gegen ihn sagen können. Die sach ist nicht, wie mans außgebreydt, aber wenns gleich were, sehe ich nicht, was den Parisern die sach ahngeht, aber so ist man hir. E. L. können woll gedencken, daß es mir nicht ahngenehm ist, zu wißen, daß man affichen ins palais Royal ahngeschlagen: Voicy où se font les lotteries et où on trouve le plus fin poisson. Les lotteries ist, umb zu sagen, daß mein sohn mitt seiner dochter wie Lott[2] lebt. Bigot begehrt man nicht, daß mein sohn seye, aber man findt nicht gutt, wenn er gotslästerey spricht, alß wenn kein Gott were, undt hiran hatt man eben nicht unrecht; ich habs ihm hundertmahl gesagt, aber er glaubt mir nicht.
Die poetten vom Pont neuf haltens vor eine schuldigkeit, lieder zu machen, wenn jemandts vom königlichen hauß stirbt; es ist poßirlich zu sehen, wie sie ihre lieder singen: sie stehen auff bäncken, schreyen was man auß den halß kan, haben altfranckische rabatten ahn alle ihre kleyder undt hüdte; ein übeller geiger accompagnirt die stim, undt wenn sie den König oder sonsten jemandts vom königlich hauß nenen, machen sie große reverentzen im vollen singen …
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. März 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 308–309
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0792.html
Änderungsstand:
Tintenfass