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Versaille den 21. May 1712.
… Ob das alte weib zwar unßere ärgste feindin ist, wünsche ich
ihr doch des Königs wegen ein langes leben, denn alles würde noch 10 mahl
ärger sein, wenn der König nun sterben solte. Er hatt das weib so
erschrecklich lieb, daß er ihr gewiß nachsterben würde, wünsche also, daß sie
noch lange jahre leben mag. Ich bitte E. L., mir nicht auff dießen brieff
zu andtworten. Was mons. le duc de Berry ahnbelangt, so were er eben
nicht so gar einfeltig, wenn man ihn nicht so gar ignorant ertzogen hette,
aber er weiß nichts in der welt, kaum wer er selber ist, undt ist dabey sehr
opiniatre, aber recht verliebt von seine gemahlin
[1], welche es aber leyder
nicht von ihm ist, undt ich fürcht, daß, ob sie sich zwar beßer helt alß sie
noch gethan, daß sie doch coquet sein wirdt, die pente ist zu groß dazu
undt bon chien chasse de rasse
[2]; ihre fraw mutter
[3], mitt aller ihrer
gravitet, ist doch nie ohne affairen, aber man muß die rechte warheit sagen,
sie gouvernirt sich woll dabey undt sie wirdt nie keinen esclat machen; gantz
Paris meint, daß sie eine vestalin seye, aber ich, die die sach näher sehe,
weiß woll, was dran ist. Sie lebt woll mitt mir undt ich hütte mich auch,
ihr den geringsten chagrin zu verursachen, undt rahte meinem sohn, woll
mitt ihr zu leben, denn wozu solte ein esclat nutzen, der König würde vor
sein dochter sein undt mein sohn müste sie mitt dem esclat behalten, ist also
beßer, sich nichts mercken zu laßen undt woll mitt einander zu leben. Das
wirdt sie obligiren, meinen sohn allezeit bey dem König zu dinnen undt vor
ihn zu sprechen. In dießen puncten folgt mein sohn meinem raht undt
befindt sich woll dabey, im übrigen so seindt mons. le duc du Maine
[4] undt
mad. la duchesse
[5] die ambitieuste creaturen von der welt, die suchen alles
möglichste hervor, in faveur zu kommen, undt weillen der duc Dantin
[6] gar
sehr in faveur ist, seindt die zwey allert, dem Dantin ihren halbbruder
einander abzuspannen, lieben sich also gar nicht. Mad. d’Orleans undt mad.
la duchesse haßen sich auch wie den teüffel, denn mad. la duchesse wolte,
daß mons. de Bery eine von ihren dochtern heürahten solte, undt kan ihrer
schwester nicht verzeyen, daß ihre dochter den vorzug gehabt hatt, undt
itzunder sucht sie mad. d’Orleans ihren liebsten bruder
[7] abzuwenden, welches
wider eine neüe jalousie gibt. So ist der innerliche hoff nun bestelt. …