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Brief vom 8. April 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


833.


[344]
Versaille den 8. April 1714.
Ich schreibe E. L. heütte mitt recht betrübten hertzen: gestern abendts kam mons. de Wersebe undt war so betrübt, daß er kaum reden konte, wieße mir aber einen brieff, worinen stehet, daß sein herr gar kurtz vor seinem endt[1] befohlen, daß, sobaldt er seinen todt erfahren, solte er her komen undt mir von seines herrn wegen sagen: ich solte nun sehen, daß er keine miltzkranckheit gehabt, wie ich ahn E. L. geschrieben hette, sondern daß es in der that die todtskranckheit geweßen were; er ließe mich ersuchen, bey [345] künfftiger überleßung der übrigen theille der Octavia, so er befohlen zu schicken, mich seiner zu erinern undt zu glauben, daß er mitt der grösten hochachtung vor mich stürbe. Ahn meinen sohn schickt der gutte herr eine uhr, so er vor ihn hatt machen [laßen]. In einem andern brieff stehet: ich solle ihm zu gutt halten, daß er sein versprechen mitt das endt von der Octavia nicht gantz halte, allein es were zeit, alle irdische gedancken abzulegen undt ahn nichts, alß geistlich zu gedencken. Ich gestehe, es touchirt mich unerhört, daß der gutte herr mitt solcher freündtschafft ahn mich biß ahn sein endt gedacht hatt … Nun die fürstin von Gandersheim[2] ihren herrn vatter nicht mehr zu fürchten hatt, halte ich, daß sie sich cariere geben wirdt undt mögte woll ihrem sohngen ein schwestergen oder brüdergen geben, weillen sie sich so wenig schembt undt ihr kindt offendtlich spatziren führt …
Carfreytag ist bey den reformirten ein großer tag undt fasttag, weiß nicht, ob er noch so ist wie zu meiner zeit. E. L. werden woll das liedt: O mensch, bewein dein sünden groß[3] nicht gantz außgesungen haben, denn es hatt 22 gesetz[4]; ich kan sie schir, habe sie perfect nach einander gewust, aber nun muß ich das erste wordt sehen, umb es nach einander zu wißen, denn in meiner cammer singe ich es noch. Printz Ragotzi sagt, daß man in gantz Ostereich undt Böhmen die lutherische lieder singt, undt jemandts anderst hatt mir gesagt, daß alle catholischen in Böhmen im abendtmahl den kelch entpfangen. Ich kan nicht begreiffen, warumb der papst andern diß nicht auch erlauben will. Aber genung hirvon, ich mögte zu weydt in den text kommen undt meines beichtvatters gebott übertretten …
Mons. de Torcy[5], der etlichmahl naßeweiß genung ist, hat hir überall außgebreydt, daß der gutte hertzog[6] lutherisch gestorben were; ich habe aber geantwortet: weillen er die letzte öhlung entpfangen, so muß er ja catholisch gestorben sein, denn die lutherischen haben keine letzte öhlung …
Calvinus habe ich nicht in meinen medaillen, wenn es E. L. cabinet nicht berauben solte, würden mir E. L. eine große gnade thun, mirs zu schicken. Ich habe päpste, dockter Luther, Molinos[7], mons. Arnaud[8], mons. de Cambray[9]; alles was in der welt extraordinarie geweßen, samble ich; ich habe auch l’abbé de la Trappe[10], aber nur in bley …
Mich deücht, made de Rouesulle[11] ist zu gering, oberhoffmeisterin von königlichen kindern zu sein; aber es ist doch ein zeichen von gutt naturell [346] vom König[12], die noch zu lieben, so ihn erzogen hatt, aber kein mensch hir im landt kendt den nahmen. Mich deücht, daß die freüllen vom preussischen hoff nicht gar weit her sein, denn Leti ist nur ein gelehrter undt passirt nicht pour homme de qualité. Apropo von gelehrten: man sagte mir gestern, daß mons. Leibenitz zu Wien solle catholisch geworden sein …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 8. April 1714 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 344–346
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0833.html
Änderungsstand:
Tintenfass