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Brief vom 4. April 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


102.


[161]
Paris den 4. april 1720.
… Die braudt[1] thut gar kleine tagreißen, kan ihr also nicht schaden. Man hat ihr zu viel ihren eygenen willen gelaßen, vatter[2] undt mutter[3] seindt ihr zu gutt undt gelindt geweßen. Ich misch mich in nichts, so meine enckeln betriefft; ich habe vatter undt mutter treülich gewahrnt, daß es ihnen gereüen würde, ihre kinder so zu verzichen; das hat der eltsten[4] das leben gekost, die zweyte[5] in ein closter geführt, waß auß der dritten[6] werden wirdt, soll die zeit lehren. Paris ist nie schlimmer vor junge leütte geweßen, alß nun, insonderheit vor die, so sich dem spillen ergeben. Das hat den [162] comte de Horn in sein unglück gestürtzt, hatte 25 tausend thaller auf der foire de St. Germain verspilt, hat gemordt undt gestollen, es wieder zu bekommen. Frantzösche weiber haben verstandt, aber noch mehr caprice, fürchte also sehr vor die printzes von Modene. Zu Venedig hat der printz von Modene gutt lob erhalten; gott gebe, daß er seiner gemahlin auch so woll gefahlen mag; ich zweyfle dran, denn der Italliener air kompt dem frantzöschen nicht bey, undt die Frantzoßen haben alle das, daß sie verachten waß nicht à la françoise ist, undt das geht mit mann undt weib nicht ahn. … Der Duc du Maine bleibt noch fest drauf, daß er seine gemahlin nicht sehen will, wie lang es dawern wirdt, wirdt man sehen. Ich habe gar recht errahten, des papst händel mit Alberoni war nur ein spielgefecht; er hat ihn auf freyen fuß gestelt undt er ist durchgangen, man weiß nicht wohin. Also sicht Mons. von Harling woll, daß ich mich nicht betrogen habe; ich kene jetzt der pfaffen humor zu woll. Vor die hoffnung, so Mons. Harling mir gibt auf sein excellente metwürst, frewe ich mich undt dancke sehr zum vorauß; ich liebe sie über die maßen undt habe nie keine beßere geßen, alß die, so er mir geschickt. Des herrn cammerpresidenten gänße undt lacks[7] ist gar woll ahnkommen undt trefflich gutt. Mein magen ist gott sey danck gutt noch, verdawe gar woll. Aber ich kan doch nicht glauben, daß ich es so weit bringen werde, alß Mons. von Harling es schon gebracht hat; gott erhalte ihn so lang wie den Cardinal Darquin[8], so der Königin in Poln undt Mad. de Bethune vatter war, der ist 110 jahr alt worden; Mons. de Polier[9], der mein hoffmeister geweßen zu Heydelberg, ist 93 jahr alt worden undt mit guttem, netten verstandt gestorben hir zu Paris. … Hiemit kan ich nichts mehr sagen, alß wie daß ich allezeit bin undt bleibe seine wahre freündin …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. April 1720 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 161–162
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0102.html
Änderungsstand:
Tintenfass