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Brief vom 5. Mai 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


105.


[164]
St. Cloud den Sontag 5. may 1720.
Mons. von Harling sein schreiben vom 19. april habe ich vergangen Mitwog zu Paris entpfangen, alß ich in die commedie ging, also den tag nicht drauf andtworten können, undt andern tags noch weniger, denn man hat mir zwischen 8. undt 9. morgendts zur ader gelaßen, 10 ontzen, das macht 3 gutte palletten. Ich bin das aderlaßen undt brauchen nicht gewohnt, wie man hir im landt ist, es matt mich ab, daß ich keinen fuß vor den andern stellen kan. Waß mich noch sehr abgematt hat, ist, daß man mir gestern undt heütte morgen große gläßer mit chicoréwaßer hat drincken machen; das ist mein pfältzischer magen gar nicht gewohnt, macht mich, wie die Hinderson alß pflegte zu sagen, gantz schlabiges[1]; zum vollkommenen agrement wirdt man mich noch morgen undt übermorgen mit dem grünen safft[2] purgiren. Alle dieße plagen machen mich krittlich wie eine wandtlauß. … Das assassiniren hat zwar zu Paris ein wenig aufgehört, aber [165] ahn deßen platz kommen jetzt schlagereyen; vor etlichen tagen seindt 8 auf dem platz geblieben. Die desbauchen auf die itallienische art, wie auch das continuirliche spillen, so zu gar schlimmen gesellschaften führt, verdirbt undt verführt die meisten junge leütte von qualitet; undt waß sie noch zum dritten verdirbt, ist, daß sie sich piquiren, keine religion mehr zu haben undt von gott undt der welt independent zu sein; sie verlaßen gott, undt gott verlest sie wider, also kein wunder, wenn sie in aller laster sünde fallen. Sie hetten woll von nöhten, alle tag das kurtze gebet zu thun, so mich die gutte fraw von Harling alß thun machte, [wenn ich] schlafen ging undt aufstündt: Ach herr, verlaß mich nicht, auf daß ich dich nicht verlaße. Unßere printzes von Modene[3] wirdt nun baldt einen betrübten tag haben, wenn sie zu Genua sein wirdt, wo sie die frantzöschen damen undt das Königshauß quittiren undt in die italliensche hände fallen wirdt. Gott stehe ihr bey! sie hats von nöhten. Verstandt hat sie woll, aber vatter undt mutter haben sie sehr verzogen. Wenig weiber in Franckreich erzicht man undt lehrnt sie, aufs solide zu sehen undt sich nicht ahn bagatellen zu hencken, man lehrt ihnen eher, zu wißen, welche coeffure[4] ihnen woll oder übel stehet, alß waß eine fürstin vor tugendten haben solle, sich in der welt estimiren zu machen. Wenn ich meine meinung hirauf habe sagen wollen, habe ich nur undanck erworben undt man sagte, daß ich à la vieille mode, daß es nun der brauch nicht mehr were, so zu leben. Ich sagte, daß ich gemeint, daß tugendt zu allen zeiten tugendt were undt das laster verächtlich, daß ich hinfüro mich ahn meine altfrankische moden halten würde undt mich umb die neüen nicht bekümmern; aber daß, wenn die unglücklich ablaufen würden, man mir nicht vorwerfen könne, es nicht vorher gesagt zu haben. Der humor, den dieße prinzessin hat, kan sie in keinem ort in der welt glücklich machen, sie hat lauter fausses maximen wie ein verwont kindt, sie hat just die frantzosche manir, alles zu verachten, waß nicht frantzösch ist, es mag gutt oder böß sein.
Es mögte meinem capitain des gardes[5] woll gehen, wie in einer opera stehet: mais enfin il vient un temps, où l’amour, où l’amour se vange.[6] Gutte gemühter seindt danckbar; die ahm narrischsten geweßen in ihrer lieb, war die, so Harling am meisten geliebt hat; bey der war kein heüraht zu forchten, denn sie hatte mann undt kinder. Hette er den dollen heüraht mit der blonden Loison gethan, were er nun witwer; aber dieße narredey hette ich seinen vetter nicht thun laßen, denn ich wuste [166] gar zu woll, welch ein gottloßes leben die zwey schwestern undt ihre mutter führten; sie hatten seinem vetter weiß gemacht, daß sie Vestalinen weren, endtlich hat er doch den betrug gemerckt.
Ich kene das pfaffengeschmeiß undt den römischen hoff zu woll, umb betrogen werden zu können durch das spigelfechten vom papst undt Alberoni. Der hat vielleicht dem papst geandtwortet wie in jener commedie stehet: Tu es un grand fourbe, worauff der knecht andtwortet: Fort à vostre service, so mag es Alberoni auch woll mit dem papst gemacht haben. Pfaffen in allen religionen deügen nicht viel, kommen mir viel vor wie die Phariseer undt Saduceer…
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Mai 1720 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 164–166
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0105.html
Änderungsstand:
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