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Brief vom 9. Juni 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


108.


[168]
St. Clou[d] den 9. Juni 1720.
… Zuerst muß ich noch vor die metwürst dancken, so ich noch nicht versucht, habe sie in die lufft hencken laßen, weilen ein wenig feuchtigkeit drin geschlagen war, werde sie heütte versuchen; sie riechen gutt; das hilft mir eher wider zum apetit, alß alle ragouts von gantz Franckreich, die habe ich nicht eßen lernen können, finde es verschmirt undt in meinem sinn eckelhaft. … Ich eße gern ein gutt stück rindfleisch mit mustert[1], einen gutten hammelschlägel mit salat, gebrattene haaßen, aber keine caningen kan ich eßen, wie man es auch zurichten mag; ich kan auch keine von den gemästen hünern eßen, sondern nur junge hüner, suma lautter gutte undt gesundte speyßen. Ich laße mir oft auch teütsche eßen geben, einen haaßen- oder ganßenpfeffer, lungen, mußkraudt mit hammelfleisch, kalbfleisch mit mageran.[2] Aber hirmit genung von küchenzeüg gesprochen, will nun gar große undt serieuse zeittungen sagen: vorgestern hat der garde des seaux[3], Mons. Dargenson[4] meinem sohn alle königliche siegel wider gebracht, weilen er vernohmen, mein sohn den cantzler wider berufen hette, indem er jetzt erst dießes cantzlers Dagueseaus[5] unschuldt erfahren undt wie man ihn fälschlich mit so vielen umbständen ahngeklagt hatte. Dießer ist nun wider in seinen cantzlerstandt establirt; hirzu kan man sagen wie jungfer Colb[6] unß alß pflegte zu sagen: Kinder, glaubt mir, es geht nirgendts wunderlicher her, alß in der welt. Gestern ist der premier president mit noch 3 andern von den vornehmbsten presidenten vom parlement zu meinem sohn kommen, umb mit ihm undt dem cantzeler raht zu halten über alle die affairen von der banque undt müntz; waß aber resolvirt worden, werde ich nicht verzehlen, denn ich habe weder verstandt noch gedechtnuß genung, es woll zu expliciren, es wirdt aber baldt in druck kommen. … Ich fange wider ahn, ein wenig zu gehen, spatzirte gestern zu Madrit[7] bey Madlle de Chausseraye eine allée von 200 toisen lang undt war nicht [169] zu müde. Dieße dame ist eine von meinen freüllen geweßen; sie hat gar viel verstandt undt gutten humor; ihr heüßgen, so ihr der seel. König geschenkt, ist klein, aber sauber undt artig, ein hübsch höltzgen mit vielen alléen, ein klein parterre undt einen großen patagé; sie hat immen, sie hat tauben undt gar schöne kühe, also viel zu amusiren, denn ich liebe alle thier, undt alles waß landtzeug ist, gefällt mir beßer, alß die schönsten paläst undt alles waß man in stätten [hat], außer wenn Baron[8] commedie spilt, das ist, waß mir ahm besten zu Paris gefelt. Er hat unß am vergangenen Mitwog le misanthrope[9] gespilt: in der welt kan man nicht beßer spillen, alß er that, ist auch sehr approbiret worden. … Meine schwachheiten undt matt sein hat mich eben nicht so gritlich gemacht, alß all der desordre des billets de banque. In meinem sinn ist es beßer in Franckreich ein ackerman zu sein, alß regent, aufs wenigst ist man seines lebens sicherer undt bekompt nicht so viel feindt undt mißgünstige. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Juni 1720 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 168–169
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0108.html
Änderungsstand:
Tintenfass