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Brief vom 9. März 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


120.


[183]
Paris den 9. mertz 1721.
… Gestern war ein rechter frühlingstag, das schönste wetter von der welt. Ob ich zwar nun wider gesundt bin, so bin ich doch nicht starck und fühle woll, daß ich den 70 jahren gar nahe komme, also matt undt schwach bleibe, undt käme noch ein stoß wie der, so mich gar ohnhofflich dieß jahr überfallen, so würde ich baldt erfahren, wie es in jener welt zugeht. Mein temperament ist gutt geweßen, welches woll erscheindt durch alles resistirt zu haben, waß mir begegnet; aber wie das frantzösche sprichwordt sagt: Tant va la cruche à l’eau qu’à la fin elle se casse; so wirdt es mir auch gehen. Dieße gedancken betrüben mich nicht, denn man weiß, daß, wenn man in die welt kompt, es nur ist, umb wider zu sterben; zudem so deücht mir ein gar hohes alter nicht ahngenehm, man muß zu viel leyden, undt vor schmertzen leyden bin ich ein großer poltron, das muß ich gestehen. … Umb meinen brief ein wenig auß der großen ernsthaftigkeit zu bringen, will ich Mons. Harling ein dolles histörgen verzehlen: Wir haben hir einen doll hünckel[1] undt wunderlichen heyligen, nehmblich der zweyte sohn vom letzt verstorbenen Mons. le Duc[2], dießer hat eine galante fraw von der stadt mit sich zu nacht eßen machen; er hat einen großen haß vor alle weibsleütte undt hatte es nicht hehl. Dieße dame, so madame de St. Sulpice[3] heist, hat er so sternsvoll gesoffen, daß sie nicht mehr gewust, waß sie that; die hat er undt seine geselschaft splitter nackendt außgezogen, [184] heyßen brey hollen laßen undt gesagt: Elle a assés mangé et beu, il en faut donner aussi à son bichon, haben ihr den heyßen [brei] ahn wusten ort geschütt undt sie abscheülich gebrandt. Hernach haben sie sie wie ein kindt in ein schmutzig dischtuch eingewickelt, in ein fiacre geworfen, sie so nach hauß geschickt. Dieß narisch weib war noch nicht von dießem brandt gantz curirt, so ist sie wieder zu Mons. le Duc seiner metres gangen, mit ihnen allen in bal en masque zu fahren; der comte de Charolois[4] muß resolvirt haben, sie gantz zu verbrenen: hat einen petard[5] in ihr stöffgen geworfen, so sie so erschrecklich gebrendt, daß sie auf den todt liegt. Das seindt die gentilessen von der jugendt zu Paris, so woll nicht löblich sein. Man hat ein poßirlich liedt auf dieße avanture gemacht von der mad. de St. Sulpice:
Le grand portail de St. Sulpice,
Où l’on faisoit si bien l’office,
Est brulé jusqu’au fondement.
Quelle rigeur! quelle injustice!
Les Condés par amusement
Ont destruit ce saint edifice.

Ich hoffe, daß dieße tragique avanture Mons. Harling ein wenig wirdt lachen machen; sie kan mich nicht jammern, hat ihr unglück zu woll verdint. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. März 1721 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 183–184
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0120.html
Änderungsstand:
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