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Brief vom 22. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


127.


[194]
St. Cloud den 22. Juni 1721.
… Ich kan nicht begreifen, wer auf der post vor eine lust nehmen kan, alle meine brieffe parweiß zu schicken, aber der marquis de Torcy [195] hat das in gewohnheit allezeit, alles ahm schlimbsten vor mich zu thun. Zu unßers seel. Königs zeitten that er seinen möglichen fleiß, mich mit dem König zu brouilliren, brachte I. M. meine brieffe falsch vor, aber das hat gottlob nicht reussirt, hat nur die schande davon getragen. Im ahnfang hat er mich verfolgt der alten Maintenon zu gefallen undt nun zergt[1] er mich, weilen er woll dencken kan, daß ich ihn woll kene undt nichts von ihm halte; er agirt den devoten undt ist nur ein heüchler in folio undt gar ein bößer teüffel. Aber hirmit genung von dem eloge vom kleinen Torcy. … Mons. Harling hat es seinen eygenen schreiben zu dancken undt seinem lustigen undt desinteressirten humor, daß man ihn so sehr in Englandt gerümbt, ich thue nichts dazu, undt wie die heylge schrifft in dem psalmen[2] sagt: Recht muß doch allezeit recht bleiben undt dem werden alle hertzen zufallen.… Ich finde alles in Teütschlandt so verendert seyder die 50 jahr, daß ich in Franckreich bin, daß es mir wie eine andere welt vorkompt. Ich habe brieff gesehen, so man ahn die fraw von Rathsamshaußen geschrieben, so ich mühe habe zu verstehen. Zu meiner zeit fandt man woll geschrieben, wenn die phraßen in kurtzem begriff undt man viel in wenig worten sagte, nun aber findt man schön, wenn man viel wörtter daher setzt, so nichts bedeütten. Das ist mir unleydtlich, aber gottlob alle die, womit ich correspondire, haben dieße widerliche mode nicht ahngenohmen; ich hette nicht andtworten können, aber gottlob sie sprechen noch alle mein teütsch, andtworte also kecklich. … Ich habe einen gar gelehrten mann, der mein gutter freündt ist, Mons. Baudelot[3], dem schenck ich des Ortence lateinische vers, der sie admirirt; ich bitte, dem gutten Ortence von meinetwegen zu dancken. …
Wenn man jung ist, findt man alles gutt, aber wenn man alt wirdt, lernt man die welt beßer kenen undt sicht, daß nicht alles golt ist, waß glentzt; das macht einen scheü undt mißtrauisch, undt nicht ohne ursach. Also macht man nicht so leicht kundtschaft mehr undt fürcht alß etwaß falsches zu finden, wie auch nur gar zu oft geschicht. Ich fürchte schmertzen so erschrecklich, daß mir der todt nichts dagegen zu rechnen ist. Ich were nicht gutt geweßen, eine märtyrin zu werden, denn es hette mit ein absonderlich miracle gemüst, umb die schmertzen außstehen zu können, die man die martyrer hat außstehen machen. Drumb beklage ich auch mehr alß andere [196] die, so schmertzen leyden. … Zukunfftigen Sambstag werde ich ein neües stück zu Paris sehen, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet, sie haben mich ordentlich dazu eingeladen, der tittel vom stück ist Harlequin sauvage. Das dolle undt leichtfertige leben zu Paris wirdt alle tag ärger, so daß, wenn es donnert, mir angst wirdt vor Paris. Drey damen von qualitet haben waß abscheüliches gethan: sie seindt den Turcken biß nach Paris gefolgt, haben des ambassadeurs sohn zu sich gezogen, ihn voll undt doll gesoffen undt 2 tag nach einander in dem labyrinth mit dem großbartigen kerl zu thun gehabt. Nun sie sich hiran gewöhnen, glaube ich, daß kein capuciner mehr sicher vor dießen damen sein wirdt. Das wirdt den christinnen undt damen von qualitet einen schönen ruhm in Constantinopel geben. Der junge Türcq soll zu der Poliniac,[4] so eine von den dreyen war, gesagt haben: Madame, vostre reputation est venue jusques à Constantinople et [je] voy bien, Madame, qu’on nous a dit la verité. Der abgesante soll greülich erzörnt drüber geweßen sein undt seinem sohn gesagt haben, er solle die sach heimblich halten, denn solte man zu Constantinopel erfahren, daß er mit christinnen zu thun gehabt undt sich vollgesoffen, würde man ihm den kopf vor die füß schlagen. Es ist noch woll waß vor dießen jungen menschen zu fürchten, nehmblich daß er nicht gesundt auß Franckreich kommen wirdt, die Poliniac hat schir alle junge leütte von qualitet verpfeffert. Ich weiß nicht, wie ihre undt ihres mannes verwandten es außstehen können, daß das mensch ein solch lüderliches leben führt, aber alle scham ist auß hier in Franckreich; man weiß nicht mehr, waß ein ehrliches leben ist undt alles geht durcheinander.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 194–196
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0127.html
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