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A mad. Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Hannover.
Versaille den 26 November 1705.
Hertzliebe Louise, weillen ich so woll weiß, daß ma tante
nichts erschrickt, also habe ich woll gleich gehofft, da ich erfahren,
daß der kopff nicht auffs pflaster gerührt hatte, daß es, ob gott
will, woll ablauffen würde undt keine gefahr. Gott seye ewig danck,
daß ich nicht in meiner hoffnung bin betrogen worden! I. L. seindt
der lufft so gewohnt, daß ihnen die nie wirdt schaden können;
contrarie, daß dint zur gesundtheit, braff zu spatziren. Waß man
mitt großen apetit ist, schadt selten. Ma tante hatte groß recht,
Eüch wider zurück zu schicken; den zu einem steyffen ha[l]ß ist
der kalte windt schadtlich. Monsieur Benise undt Galli seindt
nicht von meiner zeit bey ma tante, kene sie nicht; aber ich bin
alß fro, wen gutten leütten waß guts geschicht. Freüllen Pelnitz,
wie Ihr mir sie beschreibt, muß viel vivacitet haben. Wen dieß
freüllen nicht devotion genung hette, umb seelig zu werden, were
sie zu beklagen. Aber ich sehe nicht, daß man sie destoweniger
lieben solte; den daß ist ja ihre sache undt die unßerige gar nicht.
Unßere sach ist, daß die, wo man mitt umbzugehen hatt, weder
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falsch noch untrew sein. Man spricht offt gegen waß, umb es
beßer zu erfahrn; aber glaubt mir, liebe Louisse! denen ist nicht
ahm besten zu trawen, so so offt von der devotion sprechen; den
devotion ist ein gefahrlicher deckmantel, ich werde es hir täglich
gewahr. Ich gestehe, daß es beßer were, daß man allezeit mitt
respect von der christlichen religion spreche, aber die seindt die
schlimbsten nicht, so vexiren; die ärgsten seindt die heüchler undt
hypocritten. Unter dießen vorwandt geschicht ahm meisten übels;
die verzeyen nie, seindt inplacable feinde undt in dem vorwandt,
daß sie ihre negsten corigiren wollen, declariren sie alle
medissancen undt halten sie vor war. Die wahre devotion bestehet, glaube
ich, in gott lieben undt charitet vor den negsten haben. Gott aber
lieben ist über unßer vermögen, weillen wir eine zu verderbte
natur haben, undt können allein gott lieben durch seine gnadt; also
glaube ich, daß man die nicht blasmiren solle, so gott dieße gnadt
nicht geben, sondern viel mehr mittleyden mitt ihnen haben, umb
auff wenigst den zweyten punckten zu exerciren, nehmblich die
charitet. Ich bin gantz Ewere meinung, liebe Louisse, daß
monsieur Brauns unrecht hatt undt nicht ehrlich gethan, daß arme
freüllen Schwartz in einen so gar ellenden standt zu setzen; es
wirdt unglück bringen. Adieu, liebe Louisse! Ich behalte Eüch
allezeit von hertzen lieb.