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Versaille den 15 December 1708.
Hertzliebe Amelise, vor 4 tagen habe ich schon Ewern lieben
brieff vom ersten dießes monts entpfangen, aber mitt fleiß nicht
eher, alß heütte, drauf geantwortet; den einen tag ordentlich zu
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halten, ist daß rechte mittel, alle woche zu schreiben. Es ist mir
lieb, daß unßer comerse nun so woll establirt ist; hoffe, daß es
dawern wirdt. Von Ewerem gehabten irtum will ich nichts mehr
sagen, weillen Ihr desabussirt seydt, liebe Amellisse, undt es ist
gar gewiß, das Ihr dem Wilhelmel unrecht gethan habt. So heist
die fraw von Ratsamshaussen alß ihre zweyte dochter, die Ihr
gesehen habt. Sie ist nun wider zu Strasburg bey ihren kindern,
wirdt aber baldt wider herkommen. Liebe Amelisse, wir seindt
einander zu nahe, umb unß, wie wir auch sein mögen, nicht vom
weittem oder nahe lieb zu haben. Es ist kein mensch in der weldt
perfect undt ohne fehler, eines muß deß andern seine
entschuldigen; aber wo gutte gemühter sein, alß wie bey Louisse, Ihr undt
ich, da kompt man alß woll zu recht, daß geblütt lest sich fühlen.
Ewerserliche
[1] schönheiten seindt gutt, im verbey gehen wie ein
gemähls zu sehen, aber ehrlichkeit, tugendt undt gutt gemühter daß ist
gutt, bey denen zu finden, so man all sein leben lieben will. Ich
weiß leyder woll, daß es nicht sein kan, daß wir zusammen leben;
aber ich sage, daß ein solches ruhiges leben mir beßer ahnstehen
undt ahngenehmer sein würde, alß daß hiesige hoffleben. Wie die
leütte nun sein, ist meine sach gar nicht, mitt ihnen umbzu[gehen];
drumb lebe ich auch wie ein hermit undt einsidtler bey dießem
hoff undt gehe mitt gar wenig leütten umb, bin von zwey biß 8
gantz allein in meiner cammer, doch endert mein leben nach den
stunden. Ich will Eüch erster tagen beschreiben, waß ich von
morgendts biß abendts thue. Wen unßere gutte ehrliche Teütschen
folgen wolten, waß man guts in Franckreich thut, werden sie zu
loben [sein], aber zu folgen, waß selber hir gethatelt wirdt, daß
ist abgeschmackt undt ridicule. Der gottsförchten undt die es wie
eine profession folgen, seindt nur zu viel hir im landt undt alles,
waß ahm schlimbsten ist, bedeckt sich mitt dießem mantel, welches
der devotion selber schimfflich ist. Madame de Chasteautier ist nicht
von dießen falschen devotten, sondern eine gar ehrliche undt
raisonable undt verstandige dame; sie weiß nicht, daß sie Teütschen
charmirt hatt, ich wilß ihr aber sagen undt sie mitt vexiren. Daß
teütsche liedt, so Ihr cittirt, hatte ich nie gehört. Der duc de
Berwick
[2] ist wider zu straß,
[3] habt ihn also nicht zu förchten.
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Louisse rümbt sich monsieur de la Houssaye. Wie ist er den so
geentert? Wen Ihr oder Louise es vor nöhtig halt, daß ich ihm
wider vor Eüch schreiben solt, könt Ihr mirs nur zu wißen thun,
so werde ich nicht fehlen, zu schreiben. Der könig weiß solche
sachen nie, lest die intendententen gewehren. Auß meinem letzten
schreiben ahn Louisse soltet Ihr ersehen haben, daß mein sohn
wider seyder donnerstag 8 tag hir ist undt, gott sey danck, in
volkommener gesundtheit. Die andere printzen, alß duc de
Bourgogne undt duc de Bery, seindt auch seyder montag wider hir undt
der könig in Engellandt seyder dinstag; mittwog kame er mitt der
königin, seiner fraw mutter, her. Gestern bin ich nach st
Germain gefahren. Es ist eine wunderliches unglück daß accident, so
Louisse ahn den augen hatt; sie jamert mich recht drüber. Aber
da komen leütte; den alles, waß auß der armée kompt, muß man
nun sehen, undt damitt ist es gethan, biß sie wider weg gehen.
Adieu! ich muß schließen, den es ist zeit, in die commedie zu
gehen habe. Ich kan mein brieff nicht überleßen, laß Eüch rahten.
Ambrassirt Louise undt seydt versichert, daß ich Eüch allezeit lieb
behalte!