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Brief vom 4. November 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


673.


[476]
Versaille den 4 November 1714.
Hertzallerliebe Louisse, gestern habe ich meinen tag mitt Eüch geendet undt [heute] fange ich [ihn mit Euch an], nachdem ich mein gebett vericht undt meine capittel in der bibel geleßen, nehmblich 2 psalmen, den 82 undt 83sten, daß 41 undt 42 cap. deß prophetten Issai undt daß 5 undt 6ste cap. von evangelium st Marcus.[1] Aber da kommen schon verhindernüße; den man rufft mich, umb in kirch zu gehen.
Marly den 8 November, umb halb 7 abendts.
Hertzallerliebe Louisse, wie Ihr segt, so habe ich dießen brieff erst[2] vor 4 tagen ahngefangen, aber leyder nicht fortfahren können. Gott gebe, daß ich es heütte möge thun können! Sontag, [477] liebe Louisse, nachdem ich auß der kirch kommen undt ahn mein dochter geschrieben, kam ein courier von meiner dochter ahn; da muste ich wider schreiben biß zum nachteßen, nach dem nachteßen war es zu spät. Montag muste ich ahn die zwey königinen von Sicillen undt Spanien, die zu Bajonne ist, andtwortten undt der königin von Sicillen ihr brieff war von 16 bogen. Hernach bin ich hergefahren. Dinstag war gar schön wetter, bin morgendts spatziren gangen; nachmittags seindt so unerhört viel leütte zu mir kommen, so mich auffgehalten, daß ich nur ahn mein dochter hab schreiben können. Gestern, liebe Louisse, habe ich ahn die hertzogin von Hannover, undt durch einen neüen courir, [geschrieben;] abendts kammen wider viel damen, habe also biß auff heütte dießen brieff verschieben müßen. Heütte morgen habe ich Ewer liebes schreiben vom 30 October entpfangen; daß werde ich aber biß vor sontag ersparen. Nun aber komme ich auff Ewer liebes schreiben vom 23 October, daß ich vor 4 tagen ahngefangen hatten.[3] Ihr hettet groß unrecht gehabt, liebe Louisse, wen Ihr mir den tag nicht geschrieben hettet; den ich kan Eüch woll mitt warheit sagen, daß Ewere liebe brieff mir gar ahngenehm sein undt mich niemahlen überdrüßig machen; ich habe ja mitt allen interuptionen noch zeit gefunden, zu andtwortten, also solt Ihr Eüch doch ke[i]nen scrupel hirüber machen. Weillen, waß man mir vom könig Görgen[4] gesagt, so sehr mitt seinem humor einstimbt, so habe ichs geglaubt. Ich glaube auch nicht, daß die ungedultige Engländer lang sich mitt einem könig behelffen werden, welcher ihre sprache nicht kan. Ich hatte nicht gehört, daß dießer könig kräncklich seye. Hir sagt man, daß er keinen eintzigen teütschen bedinten bey sich behalten darff; daß were doch [schlecht] bedint. In der[5] letzten hollandischen zeittungen habe ich gesehen, daß man der[6] printzes de Galle 2 englische hoffmeisterinen geschickt sein worden; also wirdt woll die gräffin von Buckebourg nicht bleiben. Der könig, weillen man ihn so von sein[e]r douceur rümbt, muß affabler geworden sein, alß I. M. geweßen, wie sie hir wahren; den truckner habe ich mein leben nichts gesehen. In selbigen zeittungen, wovon ich schon gesprochen, stehet auch, wie die printzes glücklich ahnkommen undt kein gefahr auff der see gehabt hatt. Ihr werdet mir gefahlen thun, wen [478] Ihr mir berichten werdet, wie es endtlich mitt ma tante s. verlaßenschafft abgangen. Hiran kan ich ohne hertzensbetrübtnuß nicht gedencken; wen mir dieße trawerige gedancken in sin kommen, welches offt geschicht, so redt ich von waß anderst, oder nehm ein buch undt leße. Es ist woll war, daß man ursach genung findt, sich zu betrüben, wen man gern trawerig sein wolte; aber daß leben ist zu kurtz, umb nicht zu suchen, es mitt ein wenig ruhe hinzubringen; den mitt trawrigsein gewindt man nichts, alß schmertzen undt kranckheitten, undt bekompt die doch nicht wider, welche man beweindt. Freyllig ist es daß beste, sich gott in alles vollig zu ergeben; das thue ich auch, so viel mir möglich ist; auff menschen-hülff vertraw ich gantz undt gar nicht. Ich lebe schir in der welt, alß wen ich gantz allein were. Mein dochter werde ich woll mein leben nicht mehr sehen; mein sohn ist in seiner famillen occupirt; fraw undt dochter da ist sein eintzig vertrawen auff; mich sicht er nur von halb 10 biß umb 10 abendt; scheindt, alß wen er nur kompt, wen ahm meisten leütte bey mir sein, oder ich ahm meisten zu schreiben habe, expres umb nicht vertrawlich mitt mir [zu] reden. Mein parthie ist gantz gefast; ich werffe ihm nichts vor von seiner indifferentz gegen mir, ich laß ihn undt seine fammille schalten undt walten, wie sie wollen, undt misch mich in gar nichts; ich besuche seine gemahlin, seine dochter, alß wens bludtsfrembte fürstinen wehren. Ist keine reformirte kirch in Franckfort, daß Ihr in andern ortern predigen suchen müst undt in Ewer cammer predigen laßen[7]? Waß hatt der printz von Weimar ahm fuß? Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet, bleibt mir nichts mehr überig, alß Eüch zu bitten, die fehler dießes brieff zu entschuldigen undt fest zu glauben, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. November 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 476–478
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0673.html
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