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Brief vom 2. Dezember 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


677.


[487]
Versaille den 2 December 1714.
Hertzallerliebe Louise, deß duc de Schomberg secretari paquet mitt den teütschen gazetten habe ich heütte entpfangen; dancke Eüch sehr, die ordre gegeben zu haben, den sie amussiren mich sehr. Ich hatte gehofft, schon vor 8 tagen auff Ewer liebes schreiben vom 13 zu andtwortten; es war mir aber ohnmöglich, es kammen mir zu viel verhindernuß. Ich war willens, den sambstag herzukommen, aber selbigen tag konte ich mein sohns gemahlin keine vissitte geben; den der könig jagte mitt ihres elsten bruder[s], deß duc du Maine, hunden, muste also meine kleine reiße auff sontag sparen. Montag haben wir wider gejagt; dinstag habe ich wegen affairen zu Paris zu schreiben gehabt undt ahn mein dochter, hatt also Ewere andtwort, liebe Louisse, biß auff andern tag verschoben; aber, liebe Louisse, mitwog habe ich einen solchen abscheülichen schrecken gehabt, daß ich noch nicht davon ersetzt[1] bin. Wie ich nach dem eßen in mein cabinet saß undt eben ahngefangen hatte, ahn die hertzogin von Hannover zu schreiben, kam ein cammerdiner von meinem sohn daher geloffen undt ist bleich, wie ein todt, undt rufft: Ah, Madame, Monseigneur c’est[2] trouves si mal, qu’il vient d’evanouir sans cognoissance. Ihr könt leicht gedencken, liebe Louisse, welch einen abscheülichen schrecken mir dießes verursachet. Ich sprang auff, lieff ahn die stieg. Wie ich ahn die stieg kam, zitterte ich so erschrecklich, daß ich nicht steigen konte; muste porteur erwartten, umb mich hinaufftragen zu laßen. Ich war so bleich undt alterirt, daß meine damen meinten, ich würde auch ohnmachtig werden. Waß mich so sehr erschreckt hatte, war, daß mein sohn, wie er nur 4 jahr alt war, hatt er einen formellen schlagfluß gehabt,[3] undt wie nun nichts gemeiner ist, alß schlagflüß, [488] so habe ich gemeindt, meinen sohn todt zu finden. Wie ich in die cammer kam, sahe ich ihn gleich ins gesicht; er lachte, sahe nicht übel auß, ich sahe übeller auß, alß mein sohn. Er hatte nichts überzwergs ahn den augen, noch den mundt scheff, auch die zunge nicht schwer, rette so net alß ordinarie. Daß erweist woll, daß es, gott seye danck, nur eine ohnmacht geweßen, welche daher kommen, daß er mitt einem abscheulichen husten undt schnupen bey seiner dochter wie ein wolff gefreßen undt noch mehr gesoffen, wie es leyder immer dort hergeht. Darauff ist er gleich in sein cammer undt hatt sich bey ein groß feüer in einer gar warmen cammer gesetzt undt ist gleich entschlaff[en]. Wie er aber wider wacker worden, hatt er sich übel befunden (wie leicht zu glauben) undt ist ohnmächtig worden. Man hette ihm gern gleich zur ader gelaßen; weillen er aber gefühlt, daß er den bauch noch zu voll hatte, so hatte man biß umb 8 gewahrt.[4] Die aderläß hatt ihm gleich daß kopffwehe benohmen, hatt die nacht von 11 biß sie[ben] gar woll geschlaffen. Umb 8 kam er frisch undt gesundt ([hat] nur noch ein wenig den husten) in meine cammer, ging hernach zum könig undt fuhr nach Versaille. Abendts haben ihn die docktor so geplagt, daß er sich noch einmahl, umb sie zu contentiren, zur ader gelaßen hatt; daß hatt ihn nicht abgematt, er befindt sich, gott lob, woll undt in etlichen tagen, wen sein husten vorbey wirdt sein, wirdt man ihn purgiren. Mitt allem dießem gethun könt Ihr leicht begreiffen, liebe Louisse, daß ich ohnmöglich eher, alß heütte, habe schreiben können. Gestern habe ich noch ein lieben brieff von [489] Eüch entpfangen vom 20 November, bey welchem ich meine andtwortt ahnfangen werde. Es war gar nicht nohtig, umb vergebung zu bitten, daß Ihr nicht just auff alle meine schreiben so gar exact andtwort; daß ist ja nicht nöhtig, den meine schreiben seindt ordinari nur andtwortten auff die Ewerige. Es ist leicht zu glauben, daß man viel zu thun hatt, wen man eine so gar große reiße thut, alß Ihr vorhabt. Gott gebe, daß es glücklich mag abgeloffen [sein]! Ich gestehe, daß ich eine rechte ungedult habe, biß ich erfahre, daß Ihr gesundt ahnkommen werdt sein; den, liebe Louisse, es ist mir recht bang vor Eüch, finde, daß es eine große resolution ist, bey dießem wetter undt jahrszeit sich auff die wilde see zu begeben. Von der falschen zeittung von meinem sohn werde ich nichts mehr sagen, [als] daß es nicht die erste lügen ist, so man auff ihm gesagt, undt wirdt auch woll die letzte nicht sein. Meine gesundtheit ist, gott lob, all zimblich gutt, allein der schrecken hatt mich ein wenig zugesetzt undt ich habe mühe seyder dem, woll zu schlaffen, undt die lincke seyde hatt sich waß geblehet, wie es mir allemahl geschicht, wen ich schrecken oder betrübtnuß habe. Mein dockter wolte mich gern mitt dem saltz von Ipson[5] purgiren, aber, die warheit zu sagen, so habe ich noch kein große lust darzu, habe mühe, mich zu resolviren. Meine knie seindt noch gar schwach, glaube nicht, daß sie jemahlen courirt werden werden. Die gutte fraw von Ratzamshaussen ist seyder mittwogen abendts umb zehen von Marly undt gestern morgendts mitt der landtkutsch von Paris. Sie hatt mir versprochen, ihrer doch[ter] zu schicken, waß ich ihr geben habe. Ich habe Lenor außgefiltz[t], daß sie so hart mitt ihrer dochter spricht; sie wilß nicht mehr thun. Ich wartte mitt großem verlangen, brieff von Eüch von Londen zu bekommen undt zu [hören], wie Eüch könig Jorgen wirdt entpfangen haben undt ob er freündtlicher geworden, seyder er könig ist. Ich darff Eüch nicht bitten, I. M. mein compliment zu machen; den ich glaube nicht, daß ihm viel ahn mir gelegen ist. Aber die printzes de Galle bitte ich viel schonnes von meinetwegen zu sagen; den ich habe sie recht lieb, ob ich sie zwar nicht persöhnlich kene; den ma tante, unßre liebe churfürstin s., hatt mir allezeit so viel gutts von I. L. geschrieben, daß ich sie recht ehre undt estimire undt eine [490] rechte veneration vor sie haben. Ich bin heütte nachmittag wider in der kirch gangen[6]. Daß hatt mir viel zeit genohmen undt nun muß ich ahn mein dochter schreiben, kan also ohnmöglich vor dießmahl mehr sagen, alß daß ich Eüch, liebe Louisse, von hertzen lieb habe undt gott bitte, Eüch mitt gesundtheit hin undt her zu führen undt alles vergnügen zu verleyen.
Den duc de Schomburg bitte ich meinetwegen zu grüßen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. Dezember 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 487–490
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0677.html
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