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A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Londre.
Paris den 13 December 1715.
Hertzallerliebe Louise, vorgestern habe ich 2 von Ewern lieben
schreiben auff einmahl bekommen, vom 2 December / 21 November
undt vom 5 December / 26 November. Aber wie ich sehe, so geht
die post noch doller bey Eüch, weillen Ihr in einem tag 4 von
meinen brieffen entpfangen habt, nehmblich 3 durch die post undt
einen andern noch hernach. Daß ist doch verdrießlich, die see ist
es in meinem sin in allem. Ihr seydt die erste, so jemahlen
gedanckt hatt vor einen filtz; aber die ich lieb habe, denen laß ich
nichts vorbeygehen undt sag ihnen meine meinung dichte. Ey, liebe
Louise, wen man alt undt nie schön geweßen, wie ich bin, ist es
dan ein wunder, daß ich nicht darnach frage, ob die, womitt ich
umbzugehen habe, mager oder fett, dick oder schmahl, schön oder
heßlich sein? Ich muß nur gott dancken, wen man mich selber
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leyden will; mir aber kompts nicht zu, so delicat zu sein, liebe
Louise, insonderheit mitt denen, so man ursach zu lieben hatt
sowoll wegen ihrer tugendten, alß proximitet. Daß ist gar keine
tugendt, liebe Louisse, sondern nur die natürliche vernunft folgen.
Es ist leicht zu rahten, warumb ich Eüch lieber, alß den herrn von
Degenfelt, sehen mögte, wen man die ursachen betracht, warumb
ich fro werde sein, den herrn von Degenfelt zu sehen, nehmblich
weillen sein vatter, herr Max, mein gutter freündt geweßen undt mein
herr vatter s. gedienet hatt. Wie viel mehr solle ich froh sein,
wen ich Eüch, liebe Louise, sehen könte, die Ihr ja selber meines
herrn vattern dochter seydt, mich lieb habt undt wir einander
schon ahn unßerm hoff gekandt haben? Wie könt es dan möglich
sein, daß ich Eüch nicht lieber sehen solt, liebe Louisse, alß den
herrn von Degenfelt? Daß verhindert doch nicht, daß ich ihn auch
gern sehen werde. Ich dencke, wie wir einander einmahl wider
sehen könten, nehmblich wen ich noch ein par jahr leben könte
undt nicht so sehr im ellendt stecken solte, alß nun, undt alßden
ein reißgen nach Lotheringen thun, undt wen Ihr alßden zu
Franckfort wehret, könte ich Eüch ein rendevous bey meiner dochter
geben. So konte es noch woll geschehen, daß wir einander einmahl
wider sehen mögten. Aber diß seindt, fürcht ich sehr, nur schlößer,
in der lufft gebawet. Ich bin heütte morgen expresse umb 8
auffgestanden, habe gemeint umb halb 10, daß
[1] ich in mein cabinet
gangen, schreiben zu können; aber der diable au contretemps hatt
mich heütte erschrecklich geplagt, 2 cardinal, der abgesante von
Hollandt, dieße seindt alle nach einander kommen. Biß nach 12
hab ich in allem nur 9 lignien schreiben können. Nach der meß
bin ich zu madame d’Orleans, so schwanger ist undt einen starcken
husten hatt. Hernach habe ich eßen müßen; gleich nach dem eßen
seindt meine 2 enckeln auß dem closter kommen, hernach die
verwitibte printzes de Conti, madame la princesse dochter mitt ihrer
dochter, mademoiselle de Larochesurion
[2], die ist lang blieben.
Hernach ist der envoyes vom keyßer, der monsieur Penterritter
[3],
zu mir kommen, daß hatt auch zimblich lang gewehrt. Dießer
Penterritter ist woll geschaffen, hatt gutte minen, aber er ist ein rechter
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rieß; er hatt verstandt undt ist polis, spricht gar nicht östereichisch,
ob er zwar in Wien gebohren undt erzogen ist. Ich habe ahn dem
hertzog geantwort (den es ist heütte der lotheringische posttag), auch
ahn mein dochter geschrieben. Hernach ist mein sohn kommen,
biß ich schir zum nachteßen gangen. Jetzt ist es zu spät, umb
auff Ewere liebe schreiben zu antworten; ein ander mahl ein mehrers.
Ich muß nach bett, den es schläffert mich unerhört. Gutte nacht,
hertzliebe Louisse! Ich schlaffe oder wache, so behalte ich Eüch
doch von hertzen lieb.