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Brief vom 1. September 1716

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


785.


[034]
St Clou den 1 September 1716, umb 3 viertel auff 9 morgendts.
Hertzallerliebe Louise, umb Eüch einmahl eine rechte andtwort zu schreiben, so fange ich bey Eüch ahn undt will auff Ewere 2 letzte liebe schreiben andtwortten, alß nehmblich daß vom 13/24 undt 6/17 August. Ich weiß woll, waß ich hinfüro thun will. Es ist beßer, daß Ihr einen ein wenig altern brieff von mir entpfangt, alß gar keinen; also will ich die tage nehmen, so ich Eüch in Teütschlandt schreibe, undt hinfüro auff Ewere liebe schreiben andtwortten, so wirdt keines mehr unbeantwortet bleiben. Ich bin jetzt zimblich woll, wen ich nur gehen könte; aber es seindt mir gar große schmertzen in den nerven unter dem lincken knie gekommen, daß zicht sich durch den gantzen schenckel biß auff den fuß mitt so großen schmertzen, daß ich nachts nicht davor schlaffen kan. Es ist sehr geschwollen, aber nicht roht: wer es roht, solte man meinen, es were daß pottegram, aber weillen keine röhte dabey, sagt man, [035] daß es, gott lob, kein potagram ist. Daß freüt mich, den ich fürchte den todt viel weniger, alß große schmertzen. Ich habe in ein alt cabinet de la Chine, so ich von Versaille kommen laßen, gott lob, noch ein fläschgen von dem gutten öhl gefunden gestern abendts, so der gutte ehrliche monsieur Daltovitti[1] mir geschickt undt womitt ich meinen verenckten arm courirt, auch den erbprintz von Heßen undt den Hattenberg, die abscheülich ahn ihren wunden in den nerven gelitten haben; undt printz Jörgen sagte mir noch gestern, daß sein herr bruder mitt waß ich ihm geschickt, so eben obgemeltes öhl ist, noch 10 officirer courirt hatt, so viel gelitten. Also hoffe ich, meiner schmertzen baldt loß zu werden; drumb seydt in keinen sorgen deßwegen, liebe Louisse! Ihr müßt Eüch auch keine schwere gedancken machen, ob ich zwar nicht allemahl woll; wen man, wie ich, schon etliche jahr über die 60 ist, kan man keine gar bestandige gesundtheit mehr hoffen, es geht alß der stiege nunder, biß man gar unter die erden kompt. Hirauff ist zu sagen, wie unßere liebe churfürstin s. alß pflegt zu sagen: Wir müßen der natur lauff gehen, gott wirdt nichts neües vor unß machen. Also wirdt es mir auch gehen, liebe Louisse! Mein dockter ist nicht gar kein charlatan undt liebt die remedien nicht sonderlich, aber meine leütte, so interessirt sein undt forchten, durch meinen todt ihre chargen zu verliehr[e]n, die plagen ihn. Aber er wirdt sichs nun woll eine wahrnung sein laßen, also wirdt es nicht mehr geschehen. Ich glaube, daß Ihr recht errahten habt, den seydt ein tag 14 geht ein abscheülich gallenwerck von mir, 3, vier mahl deß tags von mir, doch ohne schmertzen, es matt mich nur ein wenig ab. Man muß hoffen, daß es auff die lenge gutt thun wirdt. Ich bin gar nicht in sorgen undt kan woll mitt warheit singen, wie daß lutherische liedt:
Ich hab mein sach gott heimgestelt,
Er machs mitt mir, wies ihm gefelt!
Soll ich alhir noch lenger leben,
Nicht widerstreben,
Sein willen thu ich mich ergeben.[2]
Wen man, wie ich, müht undt satt von alles ist, noch viel bößes zu förchten, nichts guts zu hoffen hatt, wen man fühlt, daß [036] man taglich schwacher wirdt, undt waß ich glaube, daß mir auch schadt, ist, daß ich seyder 40 jahren alle woche 2mahl ein starck exercitz gewondt, welches alle boße humoren von mir getrieben; daß kan nun seyder deß königs todts ohnmöglich mehr sein. Also muß ich mich woll gefast machen, einen hartten puff außzustehen, ehe sich die natur ahn daß jetzige leben gantz wirdt gewont haben. Wie ich eine starcke natur habe, werde ichs vielleicht überstehen undt gewohnen; die zeit wirdt lehren, waß drauß werden wirdt. Aber, liebe Louise, betrübt Eüch nicht vor der zeit! Ich zweyffle, daß eine sauerbrunenchur mir woll bekommen solte; man muß dabey gehen, daß kan ich nicht mehr thun. Vor geselschafft da deüg ich nicht mehr zu, bin zu nachdenckisch geworden; unßere s. liebe churfürstin were allein capabel gewest, mich wider auffzumuntern; die ist aber leyder nicht [mehr], ihren todt kan ich nicht verschmertzen, wie auch unßers könig seiner liegt mir noch auff dem hertzen. Es ist nach dem mont just heütte ein jahr, daß der könig gestorben. Morgen legen wir die trawer; bey allen seinen kindern, außer die große printzes de Conti, ist die trawer lengst auß dem hertzen. Daß kan ich nicht begreiffen, es ist gar zu undanckbar. Deß könig todt hatt mich mehr morallisiren machen undt erwießen, wie alles so gar eytel in der weldt ist, alß alles, waß ich vorher gesehen. O es ist schon lang, daß ich gelehrt bin, daß man nichts in dießer weldt wünschen solle undt daß, wen man waß gewünscht, geschicht, daß sich ein solcher verdruß dabey befindt, daß man wolte, daß es nicht geschehen wer; also thue ich keine andere wünsche, alß daß gott meine kinder erhalten undt bekehren mag undt die mir sonst lieb sein, alles glück undt seegen geben möge, worinen Ihr auch nicht vergeßen werdet, noch unßere liebe printzes von Wallis. Es ist woll loblich ahn dieße printzes, selber vor ihre kinder zu sorgen. Ich kene eine mutter, so gar nicht von so gutt naturel ist undt nichts nach ihren kindern fragt, auch nicht fröher ist, alß wen sie sie nicht sicht. Die printzes von Wallis ist so sehr über der graffin von Bückeburg vertrettenen fuß erschrocken, meinte, er were gebrochen, daß ich sehr fürcht, daß es dem kindt, davon die printzes schwanger ist, schaden wirdt. Wir haben seyder 14 tagen ein abscheülich exempel davon ahn der jungen marquise de Bethune, so deß ducs de Gevre schwester ist; sie ist glücklich eines schonnen puben geneßen, aber weillen [sie] einen bettler in [037] der kirch geschehen,[3] so ist sie auff einmahl erschreckt, indem sie ihm einen krebs in der brust gesehen, so alles fleisch abgefreßen; daß kindt war ebenso, undt nachdem man es getaufft, ist es gestorben, hatte die brust undt über den magen die eins spineweb gehabt. Man hatt hundert exempel von dergleichen, also ist mir bang vor der printzes von Wallis schrecken. Ich glaube, wie ich die duchesse Schrusbourg[4] gesehen, daß sie Eüch hertzlich gern zur graffin von Bückeburg geschickt hatt, umb allein bey der printzes zu bleiben. Der printz von Wallis muß nun mehr sprechen, alß man mir gesagt, daß er vor dießem gethan. Ich finde es schön, wen man sich von seine fehler courirt. Die printzes hatt mir geschrieben, daß der herr von Degenfelt so delicat ist, alß wen er ein Engländter wer. Wo hatt er daß her? den alle seine verwanten, so ich gekant, war kein eintziger delicat, sondern lautter frische undt gesundte leütte. Da wolte ich Eüch nicht vor ahnsehen, mitt zwey mansleütten bey [Euch] in der kutsch zu haben undt bang vor filous zu sein; daß gleicht Eüch nicht, liebe Louisse! Ich meint, Ihr wehret von nichts bang. Der staub ist auch abscheülich hir. Ich habe die beschreibung von Engellandt in 2 tomen mitt schönnen kupfferstücken, da ist Hamthoncour[5] auch in, finde es auch schön; es wahr vor dießem nur ein bischoffshauß. Ich kan nicht begreifen, wie man ein ander landt lieber haben kan, so schön es auch sein mag, alß sein vatterlandt. Ich glaube aber, daß der printz meint, daß er so sagen muß, umb sich bey den Engländern beliebt zu machen. Ich glaube, daß es nöhtig ist, daß Ihr wider in Teütschlandt undt nach Heydelberg geht, umb den neüen churfürsten gleich wegen Ewere interesse zu sprechen, damitt Eüch niemandts zuvorkompt undt den churfürsten gegen Eüch preveniren undt sagen [kann], daß Ihr in Engellandt bleiben werdet undt dergleichen; also glaube ich, daß es nöhtig ist, daß Ihr hingeht. Aber da ruft man mich zur taffel, nach dem eßen werde ich dießen brieff außschreiben.
Dinstag umb 3/4 auff 5 nachmittags.
Gleich nach dem eßen hab [ich] ein wenig geschlaffen, hernach bin ich von den kauffleütten erweckt worden, denen ich schuldig bin. Gelt zehlen, schulden zahlen hatt mich gehalten biß jetzt, [038] liebe Louise, da ich mich greulich eyllen muß; den es ist schon spädt undt ich muß noch ahn die printzes von Wallis undt mein dochter schreiben. Man hatt eine rechte naredey mitt unßern brieffen; man helt der printzes von Wallis allezeit meine brieffen auff, biß man 2 oder 3 beysamen hatt. Waß artigs hirin sein soll, kan ich nicht begreiffen; aber monsieur de Torcy zergt gern die leütte, ich aber sehe woll, waß es ist, er hofft, daß die printzes meiner brieff müdt wehrn sollen. Ewer liebes schreiben ist nun völlig beantwortet, sage Eüch, liebe Louise, von hertzen danck vor Ewere gutte wünsche vor meine gesundtheit. Adieu! ich muß enden. Da kommen viel fürsten her; der fürst Ragotzi ist weg, da kompt printz Gorgen undt sagt mir adieu, wirdt übermorgen weg, da ist auch unßer printz von Birckenfelt. Mein gott, wie offt wirdt einer interompirt! Baldt werden wir gar keine teütsche fürsten hir haben; alle, die hir wahren, seindt weg, der Pfaltzgraff wirdt auch baldt weg. Ihr habt mir gefragt, waß der graff von Nassaw-Weillburg jetzt vor eine figur hir macht. Es ist über 3 mont, daß er wider nach Dusseldorff; sein herr hatt noch gelebt, wie er wider nach hauß ist. Adieu, liebe Louisse! Dieße epistel ist auch lang, ich endige mitt mühe; den es ist mir leydt, daß ich nicht auff daß zweytte heütte [antworten kann], sondern Eüch nur versichern muß, daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. September 1716 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 34–38
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0785.html
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