Seitenbanner

Brief vom 19. März 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1002.


[065]
Paris den sontag, 19 Mertz 1719, umb ein viertel auff 10 morgendts (N. 64).
Hertzallerliebe Louisse, ich hatte gehofft, daß es heütte, wie schon offt geschehen, gehen würde undt ich Ewer liebes schreiben deß morgendts entpfangen würde; es ist aber nicht kommen, weiß schir nicht, waß ich sagen solle. Waß ich Eüch ahm liebsten sagen wolte, lest sich der post nichts vertrawen, undt sonsten haben wir gantz undt gar nichts neües hir. Es regnet schir alle tag undt es ist recht warm wetter darbey. Ich halte dieß wetter vor gar ungesundt undt ich fürchte, daß unßere mademoiselle de Monpensier[1] auch die kinderblattern bekommen wirdt; den sie befindt sich übel, hatt mattigkeitten in allen gliedern undt sicht bitter übel auß; glaube also, daß es übermorgen mitt dem neüen licht außbrechen wirdt. Aber da entpfange ich in dießem augenblick Ewer liebes schreiben von 7 dießes monts, no 19; aber da kompt mein secretarie mitt viel paprassen[2], so ich unterschreiben [muß], muß also eine pausse machen.
Sontag, um 4/3 auff 11 uhr.
Da seindt meine paprassen undterschrieben. Nun will ich Eüch, liebe Louise, noch ein wenig entreteniren, ehe ich mich gantz ahnziehe, umb in die capelle zu gehen. Ich weiß nur zu woll, waß le diable au contretemps ist; nichts macht einem gridtlicher undt es wiederfehrt mir alle tag. Meine gesundtheit ist noch gar gutt, gott lob, so perfect, alß sie in meinem alter undt itzigen verdrießlichen [066] zeitten sein kan. Wen Ihr hir wehret, liebe Louise, würdet Ihr Eüch woll zu verwundern haben; den alle augenblick erfahrt man neüe falschheit undt neüe boßheit. Ich habe gestern noch abscheüliche sachen erfahren von denen, wel[c]he meinen sohn die groste obligation von der weldt haben, habe also woll ursach, die zu bitten, so gutte undt fromme seelen sein, vor unß zu betten; wir haben gottes hülff mehr, alß nie, von nöhten. Dancke Eüch, liebe Louise, vor Ewere gutte wünsche. Wen man einmahl weiß, wie boßhafftig die leütte sein, so kan man sich hernach leicht darnach richten, waß man von ihnen erfähret, liebe Louisse! Aber gutte gemühter, wie daß Ewerige ist, können solche boßheitten ohnmöglich begreiffen. Ich würde vor eine idiotte[3] [gelten] undt gar zu einfältig [sein], wen ich nicht wüste, waß vorgeht undt denen betriefft, so einem ahm negsten ahngehen. Undt, wie der könig Salomon sagt[4], alles hatt seine zeit; wen man in ruhen sein kan, muß man sich nicht plagen; schickt es unßer herr gott anderst, muß mans auch ahnnehmen. Aber nun ist es zeit, meine pausse zu machen undt mich ahnziehen; dießen nachmittag hoffe ich Eüch noch ein par wordt zu sagen, ehe ich ins closter fahre.
Sontag, den 19 Mertz, umb 2 uhr nachm.
Wie ich die feder dießen nachmittag nahm, umb weitter zu schreiben, so seindt so viel leütte herein kommen, biß ich ins closter gemüst. Gleich, wie ich wieder kommen, hab ich madame d’Orleans in mein cammer gefunden, die mich so auffgehalten, daß daß opera schon zu endt deß zweytten acten war. Nun ist es zum endt undt 9 uhr ist geschlagen, muß also baldt enden. Die mode ist nicht mehr, die beichtsvätter ahnzuhören, sonsten weren nicht mehr so schlime … Aber wen man die gründtliche warheit sagen solle, so seindt die beichtsvätter ebenso partiallisch undt voller politic, alß andere, undt man kan von hir nun sagen wie zur zeitten der sündtfluht: Alles fleisch hatt seinen weg verkehrt.[5] Die beychtsvätter dencken nur ahn politic, undt waß die menschen nicht vor sündt halten, sagt man den beichtsvättern nicht. Von dießem allem wollen wir biß donnerstag ferner sprechen. Nun kompt monsieur Teray undt treibt mich zu bett, muß also vor dießmahl wider [067] willen schließen undt nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch, liebe Louise, von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. März 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 65–67
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1002.html
Änderungsstand:
Tintenfass