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St Clou den 4 Juni 1719 (N. 91).
Hertzallerliebe Louise, vorgestern habe ich Ewer liebes
schreiben vom 20 May, no 40, zu recht entpfangen. Mich deücht, unßer
commers geht nun gar richtig. Gott gebe, daß es dawern mag!
Ich bin, gott sey danck, nun in gutter gesundtheit undt komme
allgemach wieder zu kräfften. Gestern starb zu Paris ein 80jahriger
man; gott wolle ihm vergeben, waß er mir 30 jahr lang, daß ich
mitt meinem herren gelebt, übels gethan hatt! Es ist der marquis
Deffiat
[1], so oberstallmeister undt jagermeister bey meinem herrn
undt auch bey meinem sohn geweßen. Er hatt meinem sohn ein
schön hauß undt gutt von hunderttaußendt francken vermacht; mein
sohn hatt es aber nicht ahnnehmen wollen, sondern seinen erben
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wider geben
[2]. Es war ein steinreicher man; man
[3] hatt tonnen
undt kisten mitt golt in seiner cammer stehen gehabt, daß, wie
kürtzlich daß feüer in seiner cammer, haben 6 mäner die kisten
nicht rücken können; so schwer wahren sie. Er hatt keine kinder
nachgelaßen, lautter lachende erb[e]n
[4]. Die gutte marquise Dalluy
[5],
seine tante, deren hatt er einen schönnen rubin hinterlaßen. Ihres
mans niepce aber solle alle daß bare gelt bekommen undt alle
meublen. Die arme marquise habe ich besucht, ehe ich von Paris bin;
sie logirt just gegen meiner cammer über, ist woll hertzlich betrübt,
jammert mich. Ich hab ihr gerahten, sich auß dem trawerigen Paris
zu machen undt herzukommen, wo die lufft beßer ist undt wo es
nicht so warm. Ich war nur ein augenblick in ihr cammergen, so
klein undt niederig wie ein entresol ist. Ich dachte, zu ersticken;
kan nicht begreiffen, wie sie dort leben kan, undt sie hatt ihr klein
apartement hertzlich lieb. Morgendts wie ich umb halb 12 zu Paris
ahnkam, stieg ich ins Carmelitten-closter ab; da fandt ich die gutte
duchesse du Lude, so dort zu mittag aß. Die leydt tag undt nacht
ahm potegram undt ist doch lustig undt ruhig dabey, alß wen ihr
nichts fehlt, sicht auch recht woll auß; den sie ist schon 76 alt,
scheindt keine 50, hatt ein hübsch, voll gesicht. Es kam mir auch
eine baß, madame la princesse leibliche niepce, welche den comte
d’Oursch
[6] geheüraht, welchen der keyßer nun zum hertzog undt
fürsten gemacht; weillen er aber hir kein rang hatt, sie also nicht
sitzen kan, also kan sie mich nicht im Palais-Royal sehen, sondern
nur in einem closter, wo man allezeit stehet undt nicht sitzt. Ihres
herrn vattern schwester, printzes Christine von Salm, welche ihre
niepce abscheülich hast, daß sie keine none hatt werden wollen, hatt
dieße arme printzes mitt ihrer tante, madame la princesse, so
brouillirt, daß sie sie nicht sehen will. Sie hette gern, daß ich ihren
frieden machte, aber es ist keine leichte sache; den die madame
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la princesse hatt die printzes Christine zu lieb, umb nicht ihr
parthie gegen die niepce zu nehmen, welche ein wunder [von] posturgen
ist, hindten undt fornen pukelicht undt so klein, daß sie mir kaum
ahn die naß geht. Sie ist weiß, hatt große blaue augen, so eben
nicht gar heßlich sein, den sie hatt verstandt drin, spricht auch
mitt großer vivacitet, spricht gar gutt Frantzöß, aber nicht so gutt
Teütsch, hatt wie einen luckischen accent; man gewondt sich ahn
ihre figur, aber der erste ahnblick surprenirt; es erschrickt einer
schir davor. Von den Carmelitten fuhr ich au Palais-Royal zu
madame d’Orléans, die lag ahn einer starcken migraine zu bett; [mein
sohn] machte mir seine excusse, daß er nicht mitt mir eßen konte;
seine 4 kinder aber aßen mitt mir, nehmblich sein sohn, mademoiselle
de Valois, de Monpensier undt Beaujolois. Dieße letzte ist woll
daß artigste kindt von der welt, allezeit lustig undt bringt poßen
herführ, daß man daß lachen nicht halten kan. Die Monpensier
aber jamert mich; den es ist daß unahngenehmbste, widerlichstes
kindt, so ich mein leben gesehen. Nach dem eßen fuhr ich zum
könig, welchen ich, gott seye danck, in volkommener gesundtheit
fandt. Abendts ging ich in die ittalliensche comedie undt hernach
wieder her, nahm mein ey undt ging nach bett. Es ist aber auch
woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme, wo
ich geblieben war. In kutschen fahren kan mich nicht erhitzen, die
ich gewohnt bin dreysich jahr lang, zu pferdt undt 10 jahr in
caleschen den hirsch undt wolff zu jagen; also ist mir daß
kutschenfahren, alß wen ich in einem bette lege. Meine kutschen seindt
alle wie ein schiff so samfft; den sie seindt alle a ressort
[7]. Zu Paris
ist eine erschreckliche hitze, aber in meinem cabinet hir ist es kühl
undt ich fahr selten nach Paris. Es war gestern 14 tag, daß ich
nicht dort gewest war. Ich schreibe Eüch hir in meinem cabinet,
wo ich seyder halb 7 uhr bin. Es ist recht gutt hirin sein, man
spürt die hitze nicht. Ungesundt ist daß unbeständige wetter, daß
ist woll gewiß [und so] hört man von gar viel krancken überall.
Es ist gestern eine fraw zu Paris todt in ihrem bett gefunden
worden. Die ist ahn etwaß wunderliches gestorben; sie war in kurtzer
zeit so abscheülich dick geworden, daß sie gemeint, sie were
waßersüchtig geworden, undt hatt viel dagegen gebraucht, so sie nur
imm[e]r dicker gemacht. Derohalben ist sie auß Flandern
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herkommen, nach Paris, will ich sagen, umb sich in deß hollandischen docktors
Helvetius [behandlung] zu begeben, welcher ein gar gutter docktor ist
undt von großer reputation. Vatter undt sohn seindt beyde docktoren
undt gar geschickt undt gelehrt[e] leütte
[8]. Wie Helvetius zu ihr kam,
erschrack er, ihre dicke zu sehen, sagte, er könte ihr nichts
ordonniren, er müste erst die kranckheit examiniren. Diß war donnerstag
abendts; freytag morgendts, wie er wider zu madame Doujat kompt,
findt er sie todt. Abendts hatt man sie geöffnet undt funden, daß
ihr daß fett im leib ahngangen undt geschmoltzen ist, so sie
erstickt hatt. Daß ist doch ein wunderlicher todt. Ich hab ihren
vatter woll gekent, der war intendent über der großen Mademoiselle
s.
[9] ihr hauß. Ich weiß nicht, ob er noch lebt; hieß Rolinde, ein
gar verstandiger, aber bößer man. Hir im landt hatt man selten
starcke gewitter, es regnet gleich mitt dem donner. Gott seye
danck, [daß] Eüch, liebe Louisse, Ewer aderlaße undt purgationen
woll bekommen sein! Nichts matt mehr ab, alß remedien; ich habs
verspürt. Ihr thut woll, zu widersprechen, daß man Eüch keine
eintracht
[10] in Ewern gerechtigkeitten auff Ewern güttern thut. Daß
wer woll ungerecht von Churpfaltz; will hoffen, daß es ein
mißverstandt sein undt sich finden wirdt. Ich kan nicht leyden, daß man
leütte umb ihrer religion plagt. Affairen müßen Eüch amussiren
undt divertiren; sonsten wer es ohnmoglich, daß Ihr Eüch so mitt
hudlen mögt. Wen mein leben drauff stünde, ich konte es nicht
vor mein eygen interesse thun, will geschweig[en] vor andere,
insonderheit vor einem, der mirs nicht danck wißen könte. Gott gebe,
daß der graff von Degenfelt undt seine gemahlin es beßer erkenen
mögen! Daß zeügnuß geben Eüch alle die, so Eüch kenen, daß
Ihr gar nicht interessirt sein
[11]. Aber daß geschrey geht nicht so
vor den graffen von Degenfelt. Man mag ihm aber auch vielleicht
auch woll unrecht thun. Weillen ich ihn nie gesehen undt nicht
kene, kan ich nicht davon judiciren. Tragen die pfarer cravatten?
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Daß kompt mir possirlich vor. Wolff undt seine fraw kene ich gar
[wol.] Wolff ist gar ein gutter, ehrlicher, auffrichter Pfältzer, er ist
kein kauffman, sondern ein banquier. Mein sohn helt viel von ihm, hatt
ihn einen ehrlichen man funden, hatt vertrawen zu ihm. Er kompt
offt zu mir, wen er hir ist. Seine fraw ist gar schon geweßen, aber
nun schon zimblich bey jahren. Deß abbé Bouquoy vatter kene ich
nicht, hatt mir aber so woll, alß sein oncle, offt geschrieben. Waß
er Eüch vom pasport gesagt, ist war; er war in Flandern undt
nicht in Franckreich. 4 personnen seindt auß der Bastillen gelaßen
worden, ein advocat, deß Malecieux
[12] elster sohn, Montaubans dochter
undt ein laquay von madame Du Maine; den man nicht auff sie
gefunden, waß man sie beschuldigt hatte. Ich fürchte, der könig
in Englandt veracht seinen feindt zu viel, die doch nicht zu
verrachten; den der chevallier de St George hatt noch starcke partien
in Englandt, Schotlandt undt Irlandt. Ich wuste woll, daß die
Kielmanseck eine pension hatt, aber ich wuste nicht, daß ihre dochter
ein establissement hatt. Der Haw ist es ein sohn von oncle Rupert?
den, wo mir recht ist, hieß seine commediantin Haw. Die große
herrn dive[r]tiren, vor denen sorgen sie; daß ist zu allen zeitten
gewest undt wirdt zu allen zeitten sein. Ich habe Eüch zuvor
vergeßen zu sagen, daß ich vom marquis Deffiat
[13] gouvernement geerbt
habe; er war gouverneur von Montargis undt mitt meines sohns
guttfinden hab ich diß gouvernement ahn meinem Wendt geben
[14],
dem es beßer zu[kommt]; den dießer ist mir so trew, alß der ander
mir feindt war. Daß die duchesse de Munster nun duchesse de
Candalle
[15] ist, habe ich vernohmen. Ihr habt woll gethan, Eweren
neveu undt niepce abzurathen, mir wider zu schreiben. Ich hette
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mühe zu andtwortten gehabt, indem ich courier über courier auß
Lotteringen bekomme; den meine kinder dortten haben eine große
sach bey meinem sohn, das muß ich solicittiren undt ihnen
nachricht geben. Daß macht lange brieffe, daß ich keine andere
schreiben kan. Hirauß segt Ihr woll, liebe Louisse, daß Ihr mir einen
gefahlen gethan, daß schreiben zu verbietten. Wen ich brieff
bekomme, mogte ich alß gern andtwortten, undt auß obgemelten
ursachen felt es mir ohnmöglich. Ich bin verwundert, daß so junge
leütte kinder, wie der graff von Degenfelt undt seine gemahlin,
nicht gesundtere kinder machen; aber mich deücht, daß man daß
arme kindt eher in der gutten lufft vom landt hette laßen sollen,
alß in der boßen nach Londen bringen; den auß geschwehr[e]n alß
[16]
halß kommen offt ecruellen
[17], welche schwer zu heyllen sein. Es
ist nichts natürlichers, alß seine kinder hertzlich zu lieben. Es ist
schon lengst, daß ich von der welt verleydt bin; mich deücht auch,
sie wirdt alle tag ärger. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben, so ich
vorgestern entpfangen, vollig beantwort. Ich komme noch auff ein
altes vom 13 May, no 38, [wovon] ich noch etliche seytten zu
beantwortten habe. Unßere arme duchesse de Berry leydt wie eine
verdambte seel ahn beyden füßen, wo sie gar starck daß pottegram
hatt. Ich fürcht, ich fürchte, daß sie erschrecklich krancklich wirdt
werden. Daß kompt von dem unordtendtlichen leben her. Hette
man mir glauben wollen, befunde man sich beßer; aber junge leütte
machen es so, sie werden nur mitt schaden weiß. Weder die
printzes de Conti selber, noch niemandts hatt gedacht, sie nach
St Cir
[18] zu schicken. Daß kompt meiner abtißin zu Chelle nicht
zu; sie ist zu jung, 300 junge metger
[19] zu regieren. Ihr habt mir,
liebe Louisse, nichts geschickt, so mir nicht gar woll gefahlen. Ich
habe die arabische medaille nach Paris geschickt, da wirdt man mir
sie außlegen. Nein, liebe Louisse, da will ich woll gutt vor sein,
daß unßere großhertzogin nicht wider nach Florentz wirdt; den
einen solchen eckel undt widerwillen, alß sie gegen ihren herrn
hatt, ist nicht außzusprechen, macht mich offt lachen. Wen sie von
ihrem herrn spricht, den filtz ich sie doch, insonderheit wen sie
sagt, daß, wen ihr herr vor sie stirbt, [sie] ihn mitt allerhandt
bundt bandt betrawern will; den zürne ich undt sage, daß man sie
[140]
vor eine nahrin
[20] halten wirdt. Hiemitt ist Ewer erstes schreiben
vollig beantwort; bleibt mir nur überig, Eüch, liebe Louise, von
hertzen zu ambrassiren undt zu versichern, daß ich Eüch all mein
leben lieb behalten werde.