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St Clou den 8 Juni 1719 (N. 92).
Hertzallerliebe Louise, ich weiß nicht, ob ich heütte ein frisch schreiben von Eüch entpfangen werde; aber kompt eins, so werde ichs Eüch berichten, aber die antwort auff eine andere mahr[1] verspar[e]n, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Ich verspreche nicht, alle post einen großen brieff zu schreiben, sondern nur, alle post zu schreiben, undt daß werde ich, so lang ich lebe undt gesundt bleibe, redtlich halten. Seydt in keinen sorgen, liebe Louise! ich werde mir gar keine ungelegenheit machen. Schreiben ist meine groste occupation; den ich kan undt mag nicht arbeytten, finde nichts langweilligers in der welt, alß eine nehenadel einzustecken undt wieder heraußzuziehen. Ihr habt mich, liebe Louise, von hertzen lachen machen, zu sagen, daß Eüch meinebrieffe Eüch so woll thun, alß ein balsam auff Ewerm haubt. Auffs wenigst wirdt dießer balsam nicht von Ewerm haubt in Ewern bart fließen, wie ahn Aaron[2]. Der safft hatt mich nur in der [ersten] zeit incommodirt, nun aber befinde ich mich, gott lob undt danck, gar woll undt beßer, alß vor etlichen jahren. Wie lang es aber werden wirdt, mag gott wißen. Es sterb[e]n abscheülich viel leütte überall. In 2 tagen seindt zwey von meinen geringen bedinten hir gestorben undt zu Paris hört man nichts, alß von krancken undt todten; bekommen starcke hitztige fieber, undt sobaldt sie fablen, sterben sie. Ich hab, gott lob, gar einen gutten magen, kan allerhandt eßen undt verdaue gar woll. Wen mir nur kein[e] fleischbrühe im magen kompt, habe ich keine indigestion; doch sobaldt ich rohen schincken eße, wirdt mein magen gleich wider gutt, welches jederman hir wunder nimbt. Madame de Berry hatt ein gar starck bodegram[3] ahn [141] beyde füß, leydt abscheülich dran. Gestern abendts umb 7 habe ich sie noch besucht. St Clou ist nicht viel weitter von der Meutte, alß daß Lützenburg[4] vom Palais-Royal. Sie litte gestern, daß sie einem erbarmt; sie kan so wenig auff ihre füß tretten, also hatt sie ja woll ihre schwester, wen sie sie sehen wollen, auß dem Val-de-grace hollen [laßen müßen.] Daß zwey nonen mittkommen, ist, daß, wie madame d’Orleans non-abtißin ist, folgen ihr nonen überall, so die auffwarttung bey ihr haben. Unter unß gerett, ein closter ist nichts anderst, alß ein übel regirter hoff. Ma tante, die abtißin von Maubuisson, hatt nie keine auffwarttung leyden wollen, sagte:
Ich bin auß der welt gangen, umb keinen hoff zu sehen; schürtzte sich undt ging in ihrem gantzen closter undt gartten allein herumb, lachte über sich selber undt über alles, war woll recht poßirlich, hatt gantz unßers herrn vattern, I. G. deß churfürsten, stim, glich ihm auch mitt den augen undt mundt undt hatte viel von I. G. s. maniren, konte sich so zu fürchten undt gehorchen machen. Madame de Berry ist nicht devot, spilt daß personnage[5] gar nicht. Ihre schwester de Vallois deücht nichts undt wirdt ihr leben nichts deügen, ist nicht werdt, daß wir von ihr reden. Madame d’Orleans hatt mitt ihr dießen abendt herkommen sollen undt etliche tage hir bleiben; aber es ist ihr einen fluß auff den nacken gefahlen, kan noch so baldt nicht kommen. Gott verzey mirs! es ist mir nicht leydt; daß seindt geselschafften, deren ich gar woll entberen kan, gehe nicht gern mitt falschen leütten umb. Ihre dochter de Berry undt die none seindt nicht [falsch], noch ihr sohn, gott lob, auch nicht, aber die mutter undt tritte dochter seindt es meisterlich. Der teüffel ist nicht schlimmer. Ich bin allen dießen leütten so müde, alß wen ich sie mitt lofflen gefreßen hette, wie daß sprichwort sagt. Last unß von waß anderst reden! den dießes capittel macht mir die gall übergehen, ich kan nicht de sang froid davon sprechen, komme also auff einen andern text. Ich hoffe, daß die fürstin von Ußingen nun ihre lettre de neutraliten[6] wirdt entpfangen haben. Aber ich muß mich ahnziehen, es ist spät. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff außschreiben; ist schon der 4, so ich wider ahngefangen habe, muß nach[dem] ich diß [142] außgeschri[e]ben, noch ein par schreib[e]n.