[426]
St Clou den 9 Julli 1722 (N. 9).
Hertzallerliebe Louise, vorgestern habe ich Ewer liebes
schreiben vom 23 Juni entpfangen, no 47, worauff ich hiemitt
[427]
andtwortten werde. Wen der diable au contretemps sein spiel ahnfengt,
einem
[1] ungedultig zu machen, so kompt er gewiß zu seinem zweck.
Ihr habt gar woll gethan, den post-tag doch nicht vorbey zu gehen
laßen, sonsten würde ich in sorgen vor Eüch gewest sein, liebe
Louisse! Ich wünsche, daß das Schlangenbadt Eüch woll bekommen
mag. Alle leütte, so reißen können, wo sie hin wollen, finde ich
recht glücklich. In ewigem zwang zu leben, ist eine trawerige sach
auff die lenge. Aber last unß von waß anderst reden! Dieße[s] mögte
unß zu weit im text führen. Mich wundert, daß die fürstin von
Ussingen nicht zu ihre herrn brüder undt schwester [geht];
madame Dangeau ist schon nahe bey 3 wochen von hir verreist, ist
zu ihren brüdern. Ich habe woll gedacht, daß sie dieße occation
nicht würde vorbey gehen laßen, so sich nicht alle jahr findt. Mein
gott, wie glücklich finde ich die, so noch bey den ihrigen sein
können undt sie wider sehen! Solche gedancken preßen mir woll
hertzliche seüfftzer auß. Aber stille, last unß von waß anderst
reden! Franckforth, wie ich sehe, wirdt sehr lehr bleiben; die
zurück bleiben, seindt zu beklagen. Ich muß lachen, daß Ihr sagt,
daß die fürstin von Naßau-Siegen leyder im Schlangenbadt ist. Ach,
liebe Louise, wer hir solche delicatesse haben solte, müste die welt
raumen undt hermitte
[2] undt einsiedller werden. Vor zwey tagen
verzehlte man mir, daß eine fraw von qualitet vor kurtzer zeit sich
mitt dem duc de Richelieu in sein hauß gantz allein von
weibsleütten sich splinder-nackendt abgezogen undt so mitt 6 junge
leütte von qualitet geßen. Das ist doch abscheülich; man kan
dencken, waß nach dem eßen vorgangen; ist leicht zu rahten.
Seyder wan ist mein vetter, der landtgraff, so gallant? Mich deücht,
in sein[e]r jugendt war er es gantz undt gar nicht. So leichtfertige
stücker fleisch haben keine scham, weißen sich wie ordinarie.
Chur-Maintz hette eben kein groß unrecht, wen er dieße fürstin
einsperen ließe. Ich weiß aber nicht, ob es zu ihrem besten sein würde; den
[wenn] solche art leütte, so ein frey leben gewondt sein, eingesperdt
werden, verzweyfflen sie leicht. Ich bin heütte zu Versaillen
gewest, bin müdt wie ein armer hundt. Muß doch noch sagen, daß
vetter Carl von Philipsthal mich auffs neü gebetten, meine andtwordt
in diß paquet zu schließen; er geht auch ins Schlangenbaadt.
[428]
Adieu, hertzliebe Louise, ich ambrassire Eüch von hertzen undt
behalte Eüch allezeit sehr lieb undt …