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Brief vom 5. Juli 1699

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


384.


[372]
St. Clou den 5. Julli 1699.
… Ich liebe die ceremonien gantz undt gar nicht, drumb kan ich auch nicht glauben, daß sie unßerm Herrgott gefahlen; sie kommen mir alle abgeschmackt vor. Waß mir bey den catholischen zu Iburg[1] ahm besten gefiel, war, wenn ich durch die kirch zum gutten abt[2] ging undt dort colationirte, denn damals aß ich noch viel, wie E. L. woll wißen, nun aber würde mir nicht mitt gedint sein, denn ich kan nicht mehr colationiren, habe gar keinen apetit mehr. … Es ist woll wahr, daß unßer papa s[eelig] greülich soubçoneux war; die arme raugräffin[3] hatt greülich drüber gelitten sowoll alß mein fraw mutter[4] … E. L. mögen auff teütsch oder auff frantzösch schreiben, so spürt man Dero lebhafften undt viven geist in alles … In der natur seindt viel unbegreifflich sachen; mich deücht, man observirt nichts genung. Wenn es wahr ist, daß die menschen von würmern kommen, wie man in dem microscope gesehen zu Amsterdam, so were es eben kein wunder, daß wir wieder zu würmern würden. Wie kan es möglich sein, daß die Ittalliener, die in andern sachen so viel verstandt haben, so gar abgeschmackt in religionsachen sein! Ich würde baldt in die inquisition kommen, wenn ich in Ittallien were, denn solche abgeschmackte possen könte ich ohne lachen nicht außstehen. Man solte raisonable leütte wie abé Torel[5] hinschicken, umb sie von ihrem aberglauben zu desabusiren … Es ist kein wunder, daß [das] was die catholischen auff ihre art religion threhen, cabalisch[6] lautt, denn mein sohn hatt mir in der carwochen gebetter gewießen, die gantz cabalisch sein, sagt auch, daß alles was er von den ersten christlichen ceremonien undt mistere geleßen, lautter cabalische misteren sein. Mein sohn [373] ist sehr gelehrt in solchen sachen, glaube, daß seine conversation dem herrn Leibnitz nicht mißfallen solte, denn er redt mitt großer neteté von waß er weiß undt gar nicht en pedant. … Die catholischen seindt weit darvon, einig in ihrer religion zu sein; so viel bischöff ich von der religion habe reden hören, so viel unterschiedtliche opinionen habe ich gefunden, glaube nicht, daß die inquisition sie vereynigen würde …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Juli 1699 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 372–373
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0384.html
Änderungsstand:
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