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Brief vom 9. Juli 1705

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


578.


[111]
Marly den 9. Julli 1705.
… Ich habe in den gazetten gesehen, wie der graff von Sintzendorf nun cantzeler ist; was mich aber wunder genohmen, ist, daß der schelm, [112] der Seyller[1], die charge mitt dießem graffen theyllet undt die handt über ihm haben wirdt. Man verzehlt mir letztmahl, wie dießer Seyller ein verlogener bernheütter[2] ist. Er hatt zu Reissewick[3] gesagt zum Allière, er were mein bruder undt ein bastard von mein herr vatter s[eelig]. Ich habe geantwort: er ist nicht mein bruder, aber er ist meines herrn vattern lieberey bruder, denn des Seyllers vatter hatt alle die dücher gemacht undt geferbt, so man zu unßerer liberey zu Heydelberg gebraucht hatt; sein hauß ist auff dem Graben in der vorstatt; sein vatter war aber so bitter arm, daß I. G. der Churfürst s[eelig] auß purer charitet dießen sohn zum Neckerschüller gemacht, undt weillen er fandt, daß er verstandt hatt, hatt er ihn weitter studiren undt reißen laßen, hernach zum bibliotecarius gemacht undt nach dem zum secretarius. Zur dancksagung hatt dießer Seyller I. G. s[eelig] papiren gestohlen undt ist mitt davon geloffen ahn keyßerlichen hoff undt alles gegen seinen herrn gethan was ihm möglich geweßen. Dießer ehrlicher mann ist nun ein cantzler undt wirdt graffen vorgezogen. Ich glaube nicht, daß er ein gutt endt kan nehmen, sein gewißen druckt ihn. … Ich will E. L. verzehlen, welch eine ursach man zu Paris inventirt hatt, warumb mylord Marlbourough dem marechal de Villars keine schlagt gelieffert: man sagt, er liebe sehr alle wahrsager undt wahrsagerinen, undt weillen eine von großer reputation zu Franckfort war, hatt er sie hollen laßen undt sehr examinirt, ob er dieße campagne glücklich sein würde. So soll ihm die wahrsagerin geantwortet haben, er würde glücklich sein, wenn er sich nur vor eine sache hütte, nehmblich an keinen general schlagt zu lieffern, so bandt von einer schönnen fürstin ahm degen trüge. Hirauff solle er seine spionen ins Villars armée geschickt haben, umb zu sehen, ob er einen schlupffbandt ahm degen hette. Sie kamen wider undt sagten, er hette keins, da wardt alles zu der schlagt bereyttet; jedoch morgendts gar frühe schickte mylord Marlbouroug wider hin, undt man kam ihm sagen, Villars hette nun bandt ahm degen. Gleich wurden andere abgefertigt, umb zu erfahren, von wem diß bandt kommen, undt Villars cammerdiner sagte, die princesse de Conti hette es geben. Darauff zog der mylord gleich weg undt dachte nicht mehr ahn schlagen. Wenns Villars leütte gewust, hetten sie mich ahnstatt die princes de Conti nenen sollen, so würde nach der prophezeyung der mylord geschlagen worden sein mitt dießem betrug. Ich kan nicht begreiffen, wie man solche merger inventiren kan.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Juli 1705 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 111–112
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0578.html
Änderungsstand:
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