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Brief vom 1. September 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


704.


[224]
Versaille den 1. September 1709.
… Das finde ich hübsch ahn König Augustus, daß er seiner gemahlin verwandtin[1] außstewern will alß wenn sie die seine were, aber weill dieße princes noch gar jung ist, thete der König Augustus nicht beßer, sie vor seinen Churprintz[2] zu sparen, alß sie dem jungen Czaar[3] zu geben? Ich fürcht alß daß dießer printz noch waß raues von seinem landt in dem sinn behalten wirdt undt weniger raisonabel alß sein herr vatter, denn seine fraw mutter soll gar einen dollen kopff haben. Die printzes, so nach Moscau soll, wirdt verstandt von nohten haben, mitt die wilden leütte umbzugehen. Die politesse ist von den Grichen auff die Römer kommen, von den Römern auff unß, sie verläst unß aber jetzt hir so sehr, daß sie woll weg auff die Moscowitter kommen, undt hir wirdt man wider barbarisch werden; es fengt schon starck ahn. Alle des Czaar sein thun undt weßen hatt mir nie übel gefahlen; er ist nicht genung zu loben, frembde lender haben sehen zu wollen undt all sein landt so polirt zu haben. Es ist auch loblich, daß unter seiner regierung die Moscowitter den krieg so woll gelernt haben; ich höre gern von ihm reden …
Alle augenblick werde ich interompirt undt man sagt mir, daß meine schuldener ahn der thür sein; sie haben erfahren, daß ich gestern gelt bekommen; ich muß ein wenig schulden zahlen. – Ich habe 200 louis d’or schulden bezahlt gottlob, nun kan ich wider schulden machen, das freüdt mich.
Wenn der König in Schweden ahn seiner wunde ahn der hacken[4] stirbt, so wirdt er den trost im sterben haben, daß man ihn dem Achilles [225] vergleichen wirdt. Es ist doch wunderlich, daß er gefühlt, daß die schlagt übel ablauffen wirdt. Des Czaar sein printz wirdt auch ein hero werden, zeüge geweßen zu sein, daß so ein helt geschlagen worden, wie der König in Schweden ist. Mitt so viel Schweden undt Teütschen umbzugehen, hoffe ich, daß es dießen jungen herrn gantz zahm wirdt machen undt alle moscowittische rauigkeit undt wildtheit verdreiben undt daß die ahngenehme princes nichts mehr bey ihm verspüren wirdt … Ich finde den Czaar recht genereux, so große sorg vor den König in Schweden zu haben, der doch expresse kommen war, ihn vom thron zu stürtzen. Der Czaar kan woll drüber lachen undt wie man hir spricht: les rieurs sont de son costé. Hir meint man, daß der graff Piper[5] gelt von der Königin Anne in Engellandt genohmen hatt, dießen krieg seinem herrn zu rahten; dießer raht kompt also vom graff Piper undt nicht von unßerm Herrgott. Der König in Schweden solte sanct Paulus raht gefolgt haben, der sagt, daß man erst recht preüven solle, ob der geist, so ihm räht, von Gott ist[6], denn hette er die sach recht examinirt, so hette er woll gefunden, daß den Czaar vom thron zu stürtzen ein bößer raht ist, also nicht von Gott kommen kan … Ich hoffe, daß der Czaar seinen printzen woll erzigen undt insonderheit von alle moscowittische grausamkeit corigiren [wird], aber ich finde doch, daß es eine gewagte sach ist, eine so junge princes in ein so wildt landt zu schicken. Das ist eine possirlich art von reden, eine religion altfränkisch zu finden; die religion, wie mich deücht, so ahm meisten à la mode ist, umb wie der junge Czaar zu sprechen, ist die romische katholische; dieße mißfelt ihm vielleicht, weillen viel mönchen undt pfaffen drinnen seindt, wo der Czaar sein herr vatter nichts von helt. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. September 1709 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 224–225
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0704.html
Änderungsstand:
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