Seitenbanner

Brief vom 13. März 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


788.


[305]
Versaille den 13. Mertz 1712.
… Ich bin gewiß, daß mehr alß hundert heylige canonisirt sein, so es weniger verdint haben, alß unßer zweyter dauphin s[eelig], denn in 11 monat haben wir 3 dauphins hir verlohren, so etwaß abscheüliches ist, von 49, 26 undt 5 jahren. Ich glaube nicht, daß man dieß exempel mehr in den historien findt. Mons. le dauphin ist gar gewiß auß leydt gestorben; er liebte seine gemahlin unerhört, das fieber kam I. L. ahn auß betrübtnuß, etliche tage war es nicht reglirt, darnach so wurde es viertägig; man ließ I. L. zu ader; nach dem todt von seiner gemahlin schlugen ihm wie finen ahn der stirn herauß, er ging doch mitt herumb, legte sich erst Montag abendts zu bett; es schlugen ihm viel violette flecken auß mitt erhabenen finen, anderst alß die röttlen ordinarie sein. Man gab ihm cordiaux undt machte ihn schwitzen, aber es wolte nicht recht herauß. Mittwoch nachts, wie alle menschen schlaffen gangen waren, ließ er ein altar in seine cammer zurichten, entpfing mitt großer devotion das h. abendtmahl undt ein par stundt hernach die letzte öhlung; gleich drauff extravagirten I. L., wolt auffstehen, auff die jagt undt in krieg, war furieux, kant niemandts mehr; umb 8 wurde er immer schwächer undt umb 9 gab er den geist auff; umb 11 hatt man ihn in seiner cammer exposirt biß umb 3 nachmittags, da hatt man ihm ein bett in einer kutzsch gemacht undt so nach Versaille geführt; andern morgendts, nachdem die 24 stundt verfloßen, hatt man den gutten herrn geöffnet undt gantz verfault gefunden, das hertz welck undt blatt, daher [306] man judicirt, daß er auß leydt gestorben. Der verlust hatt I. M. über die maßen touchirt; es hatt mich woll von hertzen gejammert, denn er that was ihm möglich war, seine schmertzen zu verbeyßen, aber die threnen kamen I. M. wider willen in die augen. Gott erhalte den König, das gantze Königreich hatt es hoch von nöhten undt wir alle hir. Ich mache es auff mein best, im cabinet den König ahn nichts traweriges gedencken zu machen, spreche ins gelach hinein von allerhandt bagatellen; es ist aber schwer waß vorzubringen, so divertiren mögt, wenn so ein unglück über das ander kompt, wie hir geschicht. Man hatt den König offt verhindert, amitié vor mir zu haben, aber er muß doch innerlich keinen gar großen widerwillen gegen mich gefast haben, weillen I. M. unahngesehen aller bößen officien, so Monsieur selber undt mehre mir geleist, mich doch noch leyden können undt mir endtlich erlaubt, ihn wie die andern, so mehr geliebt sein, alß ich, zu sehen. Man muß die warheit bekennen, daß es ein großer unterschiedt ist, I. M. im particulier oder nur ahn taffel zu sehen: ahn taffel sagen sie nicht ein wort, aber im cabinet von allerhandt sachen undt dero conversation ist sehr ahngenehm …
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 13. März 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 305–306
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0788.html
Änderungsstand:
Tintenfass