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Brief vom 22. Juni 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


80.


[139]
St. Cloud den 22. Juni 1719.
… Sontag bekamen wir zeittung, daß sich das schloß in den Pirenéen ergeben, so man Castel Leon heist, undt gestern kam die zeittung, so der junge marquis de Tressel[1] [brachte], daß Fontarabie über. Mich deücht, Alberoni hette woll seinen König undt printzen zu Madrit laßen können, ohne sie nach Pampelunen zu führen, schir spectateurs von dießem spectacle zu sein. Man hatte dem gutten König in Spanien weiß gemacht, daß, sobaldt er erscheinen würde, solte die gantze frantzosche armée sich ihm ergeben, welches aber gottlob nicht geschehen, contrarie es mögte nun woll eine schlagt werden, denn unßere troupen marchiren gegen des Königs in Spanien armée. Gott wolle unß ferner beistehen. Ein officir von qualitet vom hauß Destin[2] ist woll unglücklich umbkommen, das weist woll, daß unßere stunden gezehlt sein undt man seinem unglück nicht entgehen kan: die feinde warfen viel bomben in die trancheen oder lauffgräben; der junge Destin war bey einem general ahn taffel; einer lädt einen feüermörsel zu starck, die bombe, ahnstatt in den lauffgraben zu fallen, geht weit drüber ’nauß, kompt in die zelt, felt dem armen Destin auf die axel, zerschmettert sie, schlegt ihm ein aug auß dem kopf undt zerschmettert ihm einen schenckel; hat nicht lang darnach gelebt. Seine mutter jammert mich, es war ihr liebstes kindt, auch ist sie rack ohnmachtig worden undt wie todt dahin gefahlen, wie sie die zeittung erfahren. Ob es zwar wahr ist, daß mich Sigr. Ortence schreiben nicht incommodiren, so mache ich doch einen großen unterschiedt zwischen seinen undt [denen,] die mir von Mons. von Harling kommen. Sigr. Ortence ist eine alte kundtschaft, aber Mons. von Harling ist eine alte freündtschaft, denn ich bin ihm verobligirt, daß er in seiner[3] jugendt vor mich gesorgt undt die romische historie gelehrnt[4], seine seel. fraw mir auch mit so großer sorg undt mühe biß ahn mein 10. jahr beygestanden. So sachen vergeßen gutte gemühter nie, undt ich piquire mich, ein gutt gemühte zu haben. … Ich dachte, daß Hertzog [140] Ernst August, bischoff von Osnabrück, mit dem König, seinem herrn bruder, nach Pirmont würde; dießer König undt mein sohn simpatisiren hirin, daß mein sohn zu Paris so viel leütte umb sich sehen muß, so gegen ihn vor den König in Spanien sein, alß der König in Englandt leütte, so vor den chevalier de St. George sein. Wie alles endtlich wirdt ablaufen, wirdt die zeit lehren. Ich kan nichts anderst dabey thun, alß wünschen undt fleißig beten; bißher sicht unß gott noch mit gnaden ahn undt alles gehet woll, der allmachtige verleye, daß es bestandt mag haben. Die dockter sagen jetzt, mad. de Berry[5] schmertzen ahn den füßen were kein pottegram, sie wüsten selber nicht mehr, waß es seye. Unterdeßen leydt das arme mensch nacht undt tag so erschrecklich, daß es zu erbarmen; sie wirdt matt undt mager dabey. Es fengt mir ahn, bang zu werden, daß es kein gutt endt nehmen mögte, denn in den 2 tagen, daß ich I. L. nicht gesehen, habe ich sie gestern so verendert gefunden, daß ich recht drüber erschrocken bin. Vergangen jahr hat sie gar ein unordentliches leben geführt; ich habe ihr 3 oder 4 mahl gesagt, daß es kein gutt thun würde, daß sie es bereuen solte, sie hat mir aber nicht glauben wollen; nun bereüt sie es aber zu spät. Sie kam 3, 4 mahl die woch her undt badete sich im fließenden waßer, blieb 4 stundt im waßer, fraß schincken, würst, salat, kuchen, pastetten, obst biß umb 8 abendts, umb 10 setzte sie sich wider ahn taffel undt fraß biß umb eins nach mitternacht, ging hernach biß umb 4 morgendts spatziren, frühstückte käß, milch, kuchen; ging drauf zu bett. Wie konte das leben eine gutte gesundtheit geben! Junge leütte meinen, daß sie von stahl undt eyßen undt daß, waß ihnen einmahl nicht geschadt, nie wirdt schaden können, müßen hernach mit ihrem schaden klug werden. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Juni 1719 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 139–140
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0080.html
Änderungsstand:
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