[158]
Paris den 10. mertz 1720.
… Die printzes von Modene
[1] wirdt morgen weg reyßen: ist diß
mensch glücklich, wirdt es eine ahngenehme surprise vor mich sein, denn
ich bin gantz das contraire persuadirt, denn sie hat einen dollen
hirnkasten, welcher ihr theüer werden wirdt, denn das geht nirgendts woll ahn;
insonderheit in Itallien. Die threnen, so ich vergoß, kamen zu sehr auß
dem hertzen, wie ich die meinigen verlaßen muste, umb es vergeßen zu
können; wenn ich noch dran gedencke, werde ich gar seriseuse, wo nicht
trawerig. Ich zweyfle sehr, daß der Erbprintz
[2] seiner gemahlin threnen
truckenen wirdt, denn, wie schon gesagt, so hat sie keinen humor, der der
gerahten vernunfft folgt, ob sie zwar verstandt hat. Paris ist gar ein
gefehrlicher ort vor junge leütte, manns- undt weibspersonen, insonderheit
wenn vatter undt mutter den kindern zu gutt sein undt nie keine strengigkeit
vor ihnen haben, sie in alles gewehren laßen… Meine liebe seel. matante
hat mir printz Friderichs
[3] contrefait geschickt, wie I. L. nur 2 oder
3 jahr alt waren; da glich er schon wie 2 dropfen waßer ahn Hertzog
Jörg Wilhelm, welchen ich alß patte hieß. Ich bin froh, daß dießer
printz so ein gar gutt gemüht erweist, denn das seindt jetzt gar rare
waaren bey der jugendt; das macht mich hoffen, daß dießer herr waß
rechtschaffenes werden wirdt. Er muß die wilde natur der jetzigen jugendt nicht
haben, so nur bey leütten von ihrem alter dawern können, umb nichts
raisonables, sondern nur hundert sottisen zu sprechen. Außer dem
mißheüraht
[4] were es gewiß gutt, daß printz Friderich seinem großherrvatter
[5]
in allem gleiche. Madame la princesse
[6] wendet ihren eüßersten fleiß
ahn, den Duc du Maine wieder mit seiner gemahlin, ihrer fraw dochter,
zu vergleichen undt die ehescheydung zu hindern. Ich habe die
complaisance nicht haben können, Mad. la princesse zu sagen, daß der Duc du
Maine unrecht hat, denn ist es wahr, wie sie es selber außgibt, daß sie die
gantze conspiration unter seinem nahmen ohne sein wißen geführt undt ihn
[159]
dadurch unschuldiger weiß jahr undt tag gefangen gehalten, finde ich, daß
er noch zu gelindt mit ihr verfährt undt daß sie meritirt, gerasirt undt
vor ihr leben ins closter gesteckt zu werden. Dieße große sanftmuht ihres
herrn macht mich aber glauben, daß er nicht so unschuldig ist, alß man es
vorgibt; übel accompagnirt seindt sie gar gewiß alle beyde. Man hat
vorgestern nachricht gehabt, daß der papst Alberoni von 4 meilen von
Genua, wo er sich retirirt hatte, hat holen laßen undt im chateau de
St. ange zu Rom hat gefangen setzen laßen. Ich trawe der sachen nicht
recht, fürchte, daß eine nagelneüe fourberie darhinter steckt; gott gebe, daß
ich mich betriege, allein Itallienern ist die fourberie zu gemein, umb sie
nicht in verdacht zu haben.