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Brief vom 8. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


126.


[193]
St. Cloud den 8. Juni 1721.
Mons. von Harling. Gott gebe, daß ich heütte keine interruptionen bekommen möge undt auf sein schreiben heütte gantz andtworten [kann]. Es ist woll wahr, daß die zeit abscheülich geschwindt hinlaufft, die 50 jahr, daß ich in Franckreich undt geheüraht bin worden, seindt mir auch gar geschwindt vorbeygangen; ahm ersten december 1671 bin ich zu St. Germain ahnkommen. Das erste mahl, daß ich Mons. Harling gesehen, war auf matantes beylager[1], also seindt es 63 jahr, daß wir einander kenen, [194] welches ein zimblich zeit ist, diß macht aber zimbliche trawerige reflectionen. … Mit dem todt geht es allezeit, wie es gar ordendtlich in dem christlichen lutherischen liedt beschrieben wirdt von
Ich hab mein sach gott heimgestelt,
Er machs mit mir, wie’s ihm gefelt
[2] etc.
Das lehrt unß woll, wie es mit dem todt beschaffen ist, undt ich finde es so natürlich, wenn ich sage:
Man tregt eins nach dem andern hin,
Woll auß den augen, auß dem sinn.
Die welt vergißet unßer baldt,
Sey jung oder alt,
Auch unßer ehren manigfalt.
[3]
Alle tag hört man noch von bekandten, so sterben. Das ist doch verdrießlich, denn damit verliehrt man sein commerce undt ich finde es recht langweilig undt verdrießlich, neüe kundschaften zu machen. Ich glaube wie Mons. Harling, daß man nie beßer thun kan, alß sich in gottes willen zu ergeben im leben alß im sterben. … Aber ich gestehe gern, daß schmertzen leyden noch ärger ist, denn schmertzen seindt mir gar unleydtlich, der allmächtige wolle mich davor bewahren, fürchte es mehr, alß den todt. Ich gehe noch etlichmahl in die spectaclen, um printzessinen, so ohne mich nicht hindürfen, hinzuführen; gestern zum exempel führte ich unßere hertzogin von Hannover[4] in die neü itallienische commedie, welche all poßirlich ist; sie spiellens aber gantz in frantzösch. Es ist ein art critique gegen das opera von Omphale, threhen es gar poßirlich in ridicule; sie singen lautter vaudevilles, die sie poßirlich appliciren. Das macht lachen, aber vergnügen kans nicht geben. … Das ist nun die große mode leyder bey allen jungen leütten zu Paris: weder ahn gott noch ahn teüffel zu glauben, auch scheindt es woll ahn ihrem dollen leben, denn alles, waß man von dem leben von Sodom undt Gomorra verzehlt, seindt kinderspiel gegen waß zu Paris vorgeht. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 8. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 193–194
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0126.html
Änderungsstand:
Tintenfass