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Brief vom 27. Oktober 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


671.


[470]
Versaille den 27 October 1714.
Hertzallerliebe Louisse, seyder vergangen donnerstag abendts seindt wir wieder hir undt haben leyder vergangen mitwog daß arme undt liebe Fontainebleau quittirt bey dem schönsten wetter von der welt. Wir kammen früh zu Petit-bourg ahn. Ich war auff den graben logirt undt hatt eine angelruht mitt drey angellen mittgebracht, umb in dem graben zu fischen. Ich fischte undt funge acht fisch undt die grösten fiehlen ins waßer. Zuletzt fung ich einen fisch, es war eine larche, die war lenger, alß eine gutte ehlen lang: der fadem war nicht starck genung, den fisch zu ziehen, noch der stecken auch, alles brach undt der fisch fiel wider ins waßer undt schwum mitt meinen 3 angelen fort. Ich hatte in meiner carderobe gefischt, ging in mein cammer, 3 von meinen damen, alß die hoffmeisterin, duchesse de Brancas, die marechalle de Clerembeau[1] undt meine dame d’atour, madame de Chasteautier,[2] Lenor undt ich sahen zu. Donnerstag, so baldt ich ahnkam, rüstete ich mich wider ein. Hernach kam monsieur le Dauphin,[3] mein nachbar, zu mir. Es ist ein schön kindt, aber gar nicht woll erzogen, sondern gantz verwendt.[4] Er ist zart und delicat; man fürcht, wen er flennen solte, also lest man ihm thun, waß er will. Abendts spät bracht man mir Ewer liebes schreiben vom 13 dießes monts. Ich habe der Lenor ihrer dochter brieff geben, sie kan aber nicht drauff andtworten, den sie hatt große schmertzen ahm rechten daumen. Sie will nicht gestehen, daß es daß pottegram ist; allein es ist starck geschwollen, rodt undt glitzerig, glaube also fest, daß es daß pottegram ist, ob sie es zwar sehr leügnet. Sie kan den daumen nicht rühren. Es kam ihr gestern auff einen stutz ahn mitt so großen schmertzen, daß sie die gantze nacht nicht davor hatt schlaffen können. Jetzt komme ich auff Ewer liebes schreiben vom 13, liebe Louise! bin fro, zu sehen, daß unßer coramerse nun gantz eingericht ist. Vergeßen[5] bin ich, daß muß ich gestehen undt kans nicht leügnen; den ich habe [471] leyder daß schlimbste gedächtnuß von der welt.[6] Seyder meinen kinderblattern[7] ist mir daß gedächtnuß so geschwecht; den ich hatte so viel kinderblattern in dem kopff, alß eüßerlich; den ich habe die außgetruckte plattern der mondt nach einander gebutzt undt gespien. Daß alter aber thet es woll von sich selber; den 62 jahr seindt keine jugendt nicht. Daß schlimme gedachtnuß macht mich alß förchten, daß ich baldt kindisch werde werden; den daß fengt ordinari bey dem vergeßen ahn. Gott wolle mich gnädig davor bewahrn! wolte lieber sterben. Ich bin in sorgen wegen Ewer kopffwehe; verlange sehr, wider zeittung von Eüch, liebe Louisse, zu haben, umb zu erfahren, wie es mitt Eüch stehet; den ich fürchte sehr, daß eine kranckheit drauß werden mögte. Gott gebe, daß ich mich betriege undt daß ich baldt erfahren möge, daß Ihr wider in volkommener gesundtheit sein möget! So große freüde man auch in Londen bezeugt, so trawe ich doch den Engländern kein haar.[8] Aber da kompt madame la princesse[9] herrein; so baldt sie weg wirdt sein, werde ich außschreiben. Madame la princesse mitt ihrer schönnen enckel, mademoiselle de Clermont,[10] geht alleweill weg, ist eine gutte stundt hir geweßen. Ihr schön enckel heist mademoiselle de Clermont, man kan kein schonner gesicht mahlen. Viel leütte, so madame de Mazarin gesehen, finden, daß sie ihr gleicht, aber hübscher ist. Ich komme aber wider auff Ewer schreiben. Vor den könig, vor printz Ernst August undt die printzes, wie auch daß kleine printzgen, vor die alle interessire ich mich von hertzen; aber wie man mir den printz de Galle beschriben, kan er mir gar nicht gefallen; den die maniren des petit maistre et marquis, so kan ich die leütte nicht leyden, unter unß gerett. Der peuple ist allezeit insolent undt unbeständig, heütte brenen sie ihren geweßen könig. Gott gebe, daß die zeit nicht kommen mag, daß sie den itzigen könig auch brenen werden! Den, wie schon gesagt, so trawe ich den Engländern kein haar. Wir haben gar nichts neues hir. Adieu, liebe Louise! Ewer brieff ist vollig beantwortet, [472] bleibt mir also nichts mehr überig, alß Euch zu versichern, daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalten [werde].
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. Oktober 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 470–472
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0671.html
Änderungsstand:
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