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Brief vom 12. Dezember 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1182.


[357]
Paris den 12 December 1720 (N. 51).
Hertzallerliebe Louise, vorgestern habe ich zwey von Ewern lieben schreiben auff einmahl entpfangen [vom] 23 undt 26 November, no 92 undt 93. Ich zweyffle nicht, daß es Eüch auch so mitt den meinen gehen wirdt. Ich will meine andtwort, liebe Louise, bey dem frischten ahnfangen undt daß ander vor übermorgen sparen. Aber ehe ich meine antwort ahnfange, will ich Eüch verzehlen, wie ich die 6 tag zugebracht habe, die ich hir bin. Sambstag aß ich zu St Clou mitt meinen damen umb 12 zu mittag; umb 2 uhr setzt ich mich in kutsch undt wir fuhren nach Paris; umb 3 kamme ich au Luxembourg. Da war schon alles bereydt, den könig zu entpfangen, den deß könig leibquarde hatte schon die posten undt schildwachen placirt undt alle der hertzogin damen wahren in grand habit, wie auch madame la princesse mitt ihren damen, den könig ahn der kutsch zu empfangen undt wider hin zu bekleyden[1], undt die hertzogin lag auff ihrem bett. Ich dachte, wen ich gleich zum könig führe, würde daß[2] ich E.[3] M. noch au[x] Thuillerie[4] finden würde, also meine visitte kurtz undt gutt machen [könnte]; aber wie ich au guichet[5] du Louvre kamme, fuhr deß königs erste kutsch herauß. Sobaldt der marechal de Villeroy meine kutsch erblickte, ließ er deß könig kutsch hart ahn die meine still halte[n], sagte, daß der könig denselben abendt noch zu mir kommen würde; man sprach von allerhandt sachen. Wie der könig wegfuhr, kam ich [358] hir au Palais-Royal, ging zu madame la duchesse d’Orléans, von dar in meine [kammer], wo ich unerhört viel damen fandt. Umb halb 5 kam der könig, blieb biß umb 5; umb 5 fuhren I. L. wider au Thuillerie undt ich ging mitt meinen enckeln in die ittalliensche commedie, welche artlich war. Gleich nach der commedie schluckte ich mein ey undt ging gleich drauff zu bett. Sontag ging ich umb 12 in die capel mitt meinem sohn; wir hilten zwey Indianer auß der tauff, sie entpfingen die h. tauff mitt so großer devotion, daß mir die threnen drüber in den augen kammen. Der eine war 20 undt der ander 17 jahr alt, gar ehrliche, feine leütte, wir haben sie beyde Carl Philip geheißen; sie seindt vorgestern wider in ihr landt, sie seindt aus Ostindien. Gleich nach der tauff bin ich zum könig, von dar wider her ahn taffel undt nach dem eßen ins closter, wo ich die gutte duchesse du Lude gefunden. Nach dem salut bin ich wider her, wo ich gar viel vissitten bekommen, madame la duchesse d’Orleans undt alle ihre kinder, madame la princesse, d[i]e hertzogin, madame la duchesse undt mademoiselle de Clermont, die junge printzes de Conti undt noch sonst viel leütte, hab vor 8 nicht ahn mein dochter ahnfangen können zu schreiben; also habe ich erst umb 11 nach bett [gehen können], war so müde, daß ich nicht [schlafen konnte], den ich bin das blauttern zu St Clou gantz entwohnt [worden]. Montag habe ich morgendts eine kindttauffe gehabt mitt meinem enckel, dem duc de Chartre[s], ein medgen, enckellin von einen meiner cammerknecht; mein gevatter undt seine schwestern aßen mitt mir zu mittag. Nach dem eßen rüstet ich mich ein, welches ich noch nicht habe thun können, seyder ich ahnkommen war. Umb 4 fuhr ich au Val-de-Grâce, welches daß große closter ist, so die reine mere gestifft, wo unßere abtißen von Chelle[s] ist. Sie hatt wegen ihr closter bey ihrem herrn vatter zu thun; den sie sterben hungers. Die vorige abtißin hatt die 3 zukünfftige jahr[e]n zu sich gezogen, alß nehmblich anno 1719, 20. 21. 22; also sterben die armen nonen nun hungers. Daß ist woll daß alte sprichwort: Die kleine dieb hengt man undt die großen lest man lauffen. Unßere abtißin sicht bitter übel auß, ist dör[6] undt mager worden; ich forcht, sie wirdt ein[e] brustkranckheit bekommen. Daß wer mir leydt; den sie ist nun gantz raisonabel geworden. [359] Dinstag undt gestern bin ich nicht außgangen; den ich habe den grünen safft schlucken müßen; hatt mich sehr purgirt, aber doch nicht gehindert, mitt unßer hertzogin von Hannover in die commedie zu gehen. Es war le comte d’Essexs[7] undt le deüill[8]; Baron undt die Desmare[s][9] spilten so woll, daß sie unß alle in unßer loge die threnen in den augen brachten. Unßere hertzogin war sehr content von der comedie. Ich muß aber auch nun eine pausse machen, werde dießen brieff nach dem opera von Thessée außschreiben; den gleich nach dem eßen muß ich zur großhertzogin.
Donnerstag, den 12 December.
Es ist schon eine gutte halbe stundt, daß ich von der Place-Royale kommen bin; wir haben einen großen detour genohmen, umb nicht bey la croix du tiroir vorbeyzufahren; den wie wir naußfuhren, haben wir a la croix du tiroir einen galgen auffgericht gefunden. Aber wie executionen gar nicht mein sach, noch lust sein undt ich sie allezeit evittire, wo ich kan undt mag, also seindt wir gar lang unterwegen geweßen. Nun kommen die printzessin[en] herein, umb mitt mir ins opera zu geh[e]n, muß also eine pausse machen. Es schlegt 9 undt wir kommen auß dem opera. Es ist noch nicht gantz woll eingericht; man muß hoffen, daß es biß sontag beßer gehen wirdt. Ich komme jetzt auff Ewer liebes schreiben, es ist einmahl zeit. Ich hoffe, daß Ihr mitt der ersten post werdt Ewer schreibtaffelgen, so damasquinirt ist, entpfangen haben. Die printzen von Gotta[10] seindt die besten kinder von der welt, aber weder zu sieden, noch zu bratten. Lenor versichert, daß es nicht gutt ist, ihnen bey nahem zu sprechen. Ich habe sie nicht gerochen; sie haben mich gejammert. Ich habe hir fleißig vor sie [360] solicittirt, wen sie waß bey meinem sohn zu thun hatten. Ach, die arme printzen hatten ihre bagage in Lotteringen geschickt; der packwagen ist ins waßer gefahlen, undt alles, waß die gutte kinder zu Paris gekaufft hatten, ist alles zu grundt gangen undt verdorben undt hatt ihnen doch viel gelt gekost. Sie seindt klein vor ihr alter, übel gewacksen undt stinckendt. Da schlegt es 10 uhr, ich muß nach bett; den ich bin noch ein wenig matt von meinen zwey medecinen, so man mir nach einander geben hatt. Gutte nacht, liebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt habe Eüch allezeit lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 12. Dezember 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 357–360
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1182.html
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