Seitenbanner

Brief vom 23. Mai 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1124.


[151]
St Clou den 23 May 1720 (N. 95).
Hertzallerliebe Louisse, seyder vergangen sontag habe ich kein schreiben von Eüch entpfangen, aber ich habe noch daß vom 4 dießes monts, so ich letz[t]mahl nicht beantwortet habe; daß werde ich nun unterfangen, aber nur noch vorher sagen, daß ich gestern ein tour nach Paris gethan, habe, gott lob, mein sohn in gutter gesundt[heit] ahngetroffen mitt allen seinen kindern. Ehe ich ins Palais-Royal fuhr, besuchte ich madame la princesse; die fandt ich, gott lob, unvergleichlich beßer, alß I. L. geweßen; hoffe, daß sie es nun wirdt überstanden haben. Nachmittags fuhr ich zum könig. Aber etwaß, so mich über die maßen wunder nahm, ist, daß, nachdem ich wider ins Palais-Royal kam, brachte mir der duc de la Force meine 2 brieff wider, so ich ahn die printzes undt den printzen von Wallis geschrieben hatte, undt meinte[1], daß er, wie er mir gesagt, schon vergangen montag nach Englandt gereist were. Er sagte mir, seine reiße were zurückgangen, weillen der könig von Englandt kein compliment haben [wolle] auff die vereinigung mitt seinen königlichen kindern[2]. Unter unß gerett, hirauß schwandt[3] mir nichts gutes. Ich fürchte, daß deß königs hertz vor seine kinder noch nicht recht ist, wie es sein solle, undt waß mich noch ahm meisten jammert, ist, daß ich gestern zu Paris zwey schreiben auff einmahl von unßer lieben printzes von Wallis bekommen. Die ist durchauß persuadirt, daß alles wider gutt ist bey dem könig. Gott wolle ihnen beystehen undt alles zum besten wenden! Ich komme jetzt auff Ewer liebes schreiben. Mich deücht, meine brieffe gehen richt[ig]er zu Eüch, alß die Ewerige mir kommen. Daß ich [152] Eüch alle posten schreiben werde, ist ja gar [nichts] neües; es ist ja schon lange jahren, daß ichs Eüch versprochen undt nicht gefehlt habe, mein versprechen zu halten. Aber nichts ist mehr ordinarie, alß comerse mitt brieffen mitt denen zu haben, die man lieb hatt undt die einem nahe verwandt sein; daß meritirt nicht so große undt vielle dancksagungen, alß Ihr mir macht, liebe Louise! Aber Ewer demuht undt erkendtliches, guttes gemühte meint alß, daß Ihr danck schuldig seydt, wo Ihr es doch gar nicht seydt. Wen Ihr keine von meinen schreiben hekompt, ist es gar gewiß der post schult undt die meine gar nicht. Es freüet mich recht, daß mein gekritzel Eüch so ahngenehm ist undt Ihr es nicht müde werden; den gar offt kompt es abgeschmackt genung herauß, leyder. Madame d’Orléans verdirbt alle damen hir, helt ihren respect gar nicht; sie weiß nicht recht, waß grandeur[4]. Madame de Montespan undt madame de Maintenon, von denen sie erzogen worden, wustens selber nicht, undt sie ist zu hoffartig, etwaß von mir zu lehren[5] wollen, meint, daß wehre au desous d’elle, undt meint, sie seye viel höher, alß ich, wen sie ihre kammer voll leütte hatt undt alles unterst zum obersten gehet mitt maniren, mitt kleydungen, suma in alles. Aber wie sie mich nicht imittiren will, halte ich es auch nicht von nöhten, sie zu imittiren; also bleibt ein jedes, wie man im sprichwort sagt, wie es gescholten ist. Kein hoff ist mehr in gantz Franckreich. Daß hatt die Maintenon ahm ersten inventirt; den, wie sie gesehen, daß der könig sie nicht von[6] königin declariren wollen, hatt sie die junge dauphine[7] [abgehalten], einen hoff zu halten, alß in ihrer kammer bey sich behalten, wo weder rang noch dignitet ware; ja, die printzen undt die dauphine musten unter den vorwandt, daß es ein spiel were, dieße dame ahn ihr toillette undt ahn taffel auffwartten. Die dauphine hatt sie offt gekembt[8] wie eine cammermacht[9], undt die printzen drugen ihre schüßeln, gaben die theller undt brachten zu drincken. Daß hatt den gantzen hoff über einen hauffen geworffen, daß niemandts mehr wuste, waß oder wer er war. Aber ich bin nie in dießem spiel geweßen. Wen ich zu der frawen ging, setzt ich mich neben ihrer [153] niche, wo sie auff in eine chaise, undt habe ihr nie weder ahn taffel, noch ahn der toillette auffgewahrt. Es wolten mir etliche leütte rahten, wie die dauphine undt printzen zu thun; ich andtworttete aber: Je nay jamais estés eleves a faire des bassese[10], et je suis trop vie[i]lle pour faire des jeux d’enfant. Seyderdem hatt man mir nicht mehr davon gesprochen. Zu manto[11] schicken sich schleppen nicht, dazu gehört ein grand habit. Mich wundert es gar nicht, wie ich von Englandt reden höre, daß Ihr dem hoff müde seydt. Die printzessin schreibt mir, daß die graffin Degenfelt nach Teütschlandt verlange, daß sie so bitter übel außsicht, daß I. L. fürchten, daß sie vor ihre[r] reiße kranck solte werden. Daß ist waß rares, daß zwey partheyen sich auffs interesse so vergleichen können, daß beyde zufrieden sein. Wen daß bath in Englandt keinen andern nahmen hatt, alß [diesen], wirdt keine Teütsche mühe haben, zu begreiffen, waß es ist. Es ist woll gewiß, daß böße kindtbetter schlime sachen vor die gesundtheit sein. In schrecken sich zu blessiren, ist noch ahm ärgsten. Es ist ein groß klück, daß sie die schwer-noht nicht davon bekommen hatt. Ihr werdet nun baldt brieff von den freüllen von Zoettern bekommen; den biß sontag wird es 14 tag sein, daß ich Eüch einen von ihnen geschickt habe. Sie sagen, sie begehren nichts mehrers, alß sich zu vergle[i]chen, wie Ihr auß obgedachten brieff sehen sollet. Man hatte mich gebetten, ihn zu leßen; ich bitt Eüch aber umb verzeyung, ich habe die gedult nicht gehabt, liebe Louise! Den ich kan nichts begreiffen in alles, waß processen ahngeht. Es ist schon lange zeit, daß die freüllen von Zoettern hir sein; es ist länger, alß ein jahr, daß ich sie immer hir sehe. Sie seindt sehr in gnaden bey madame la princesse, die hatt sie offt bey sich, sie jamern sie. Die jüngste fehlt nicht von verstandt undt ist zimblich raisonabel, die älste aber hatt einen abscheülichen kropff undt sicht ein wenig verirt auß; sie hatt aber schon einmahl abscheüliche vapeurs gehabt, aber nun ist sie wieder gantz woll. Ich habe mein leben nicht geschwinder reden hören, alß sie schpricht. Lenor kan eben so reden alß sie; ich beiß mich alß auff die zung, umb nicht zu lachen, wen ich sie reden höre. Sie schwehr[e]n hoch undt thewer, sie hetten ihr leben nicht gedacht, einigen procès gegen die Schonburgischen zu führen. [154] Alß so hoffe ich, daß alles baldt zu endt gehen wirdt, liebe Louise! Es ist mir leydt, daß die gräffin, fürstin von Ussingen wolte ich sagen, nicht mehr zu Franckforth ist; den daß ist doch eine gutte geselschafft vor Eüch. Ich kene ihren schwigersohn, ist vor etlichen jahren hir geweßen, ist ein melancolisch kindt. Er ist, wie man hir sagt: Il n’entend pas Dieu tonner. Man hatt mühe, ohne ja oder nein etwaß anderst auß ihm zu bringen, ist so, wen ich sagen darff, stupide, alß sein herr vatter vif undt lustig war, oder er muß sich sehr geendert haben. Gestern hatte ich ein starck wetter, wie ich wider von Paris kam. Wie ich wider in der cammer war, kam ein so abscheülicher donnerschlag, daß eine von meinen kammerweibern auß der cammer lieff, die ander viel zu boden vor puren schrecken, machten mich von hertzen zu lachen. Es ist auff ein closter gefallen, so nicht weit von hir ist undt Longchamps heist, hatt aber keinen schaden gethan. Bey St Germain in ein dorff, so Sertroville[12] heist, solle ein abscheülicher großer hagel gefallen sein, hatt alles zerschlagen dort. Es ist gantz ungläublich, waß man davon sagt; die schloßen sollen wie eine faust geweßen sein, daß kan ich nicht glauben. Wen sie gleich viel kleiner geweßen, haben sie doch viel schaden thun können. Alles hatt daß schönste ahnsehen von der welt vor ein gutt jahr, aber der 9te Juni undt auch der 19 seindt noch zu observiren; in den 2 tagen muß es nicht regnen, sonsten wirdt es 40 tag regenen. Ich bin den 17 May alten stiehl gebohren, liebe Louise! Daß macht jetzt mitt der verenderung von neüen stiehl just den 28 May. Eher man den calender verendert hatte, fiehle es auff den 27[13]. Ich dancke Eüch von hertz[en], liebe Louise, vor alle gutte wünsche, so Ihr mir zu meinem gebuhrtstag thut; der wirdt zukünfftigen dinstag sein. Ich weiß nicht, wie ich mein 68 jahr enden werde, aber ich fange es schlapies ahn, wie die Hinderson alß pflegt zu sagen, kan mich noch nicht wider erhollen von den eau de chicorée, habe gantz keinen apetit undt bin recht schwach, bin auch sonsten recht leünisch. Daß leben, wen man alt ist, wirdt in allen stücken zu verdrießen[14], umb zu wünschen, es noch weitter zu bringen; den es nur ungemach undt ellendt. Doch muß man woll wollen, waß gottes [155] willen ist, undt nichts begehren, alß nach seinem willen. Ich weiß nicht, liebe Louise, wo Ihr her nembt, daß mein leben zu waß nutz sein kan; ich misch mich ja in nichts. Wen man so alt ist, alß ich jetzt bin, kan man in nichts mehr ahngenehm sein; den daß gedachtnuß fehlt ahn allen enden. Ich versichere Eüch aber, liebe Louise, so sehr mir auch mein alter zuwieder ist, so wolte ich mir doch nicht wünschen, mein leben zu verkürtzen, wen es Eüch, liebe Louise, noch zu waß nutz sein könte undt ich Eüch durch einigen ahngenehmen dinst versichern undt persuadiren konte, daß ich Eüch von hertz[en] lieb habe undt behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Mai 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 151–155
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1124.html
Änderungsstand:
Tintenfass