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Brief vom 30. April 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1323.


[378]
St Clou den 30 April 1722 umb halb 7 morgendts (N. 86).
Hertzallerliebe Louise, ich kan heütte woll zu gutter zeit auffstehen, den ich bin gestern gar früh schlaffen [gegangen]; es war noch kein viertel auff 10, da war ich schon in mein bett, habe auch woll geschlaffen. Ich war gestern ein wenig müde, den ich hatte bey dem so gar [schönen] frühlingswetter zimblich starck spatzirt; 8 nachtigallen gaben mir im holtz eine gar ahngenehme serenade, ich hörte sie auch gar lang zu. Aber die warheit [zu sagen], so singen sie in dießen landern nicht so woll, alß bey unß, ist nicht so hell undt net[1], schlagen auch nicht so lang[2]; aber es seindt nachtigallen, gefallen also. In ewiger langer zeit bin ich nicht so viel undt lang gangen, alß gestern. Ich hoffe, Eüch heütte einen großen brieff zu schreiben, den der von zukünftigen sambstig wirdt klein sein müßen; den selbigen morgen wirdt man mir zur ader laßen, daß matt mich ordinarie so erschrecklich ab, daß ich mich in 3 wochen nicht wider erhollen. Aber man sagt hir, man muß sich im May zur ader laßen, umb daß gantze jahr gesundt zu sein, undt weillen es ja sein muß, so eylle ich mich, der sach baldt quit zu sein; den alles, waß man hir vor die gesundtheit thut, ist mir abscheülich zuwieder. Aber hiemitt genung von dießer langweilligen sach gesprochen, gemahndt mich aber ahn, waß unßere jungfer Colb, mein hoffmeisterin, alß pflegt zu sagen: Genung undt über genung von dießem allem, sagt der herr Bierman, wen er 4 stundt gepredigt hatt[3]; so mache ich es schir auch. Es ist aber auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewere liebe schreiben komme, werden [379] bey dem frischten ahnfangen, so ich vergangen sontag zu Paris entpfangen, wo ich hingangen war, meinen lieben abbé de St Albin, Ewern petit neveu, zum bischoff de Laon machen zu sehen; daß macht ihn auch duc et pair de France. Dießen duc et pair habe ich keine mühe zu küßen, den ich habe ihn sehr lieb undt lieber, alß alle andere bastart. Er gleicht mehr ahn Monsieur s., alß ahn seinen eygenen herr vatter; daß weist woll, daß dießer recht mein enckel ist. Ahn die 2 andern, die Wahrheit zu bekenen, zweyffle ich gar sehr, kan sie also nicht so lieb haben, alß dießer[4]; auch hatt dießer mich lieber, alß die andern. Die einweyung eines bischoffs ist gar eine lange ceremonie, wehrt 4halbstundt. Ich war aber kein nar, die gantze zeit dort langeweille [auszustehen]; ich bliebe eine gutte halbe stundt bey der ceremonie, nur umb zu weißen, daß ich expresse seine ceremonie zu ehren hingangen war. Es wahren abscheülich viel leütte dar, alle cardinäls undt alle bischoffe, so in Paris sein, undt viel leütte von hoff. Der cardinal de Rohan[5] hatt die ceremonie gethan undt die bischöffe von Nante[s][6] undt Avrange[7] wahren assistenten. Der erste ist meines sohns erster ausmonié, der ander ist monsieur le Blanc sein bruder von der abtey von St Martin, so unßerm St Albin gehört undt eine schönne, woll gebaueste[8] abtey ist, hatt 4 große höffe wie ein palais; die 4 hoffe wahren voller kutschen undt noch dazu die gantze gaße voll. Von dar fuhr ich au vieux Louvre undt [zu] unßer artig infantien; daß liebe kindt that ihr pupe weg undt lieff mir mitt offnen armen entgegen, wieße mir ihre pupe undt sagte in lachen zu mir: Je dis a tout le monde que cette poupée est mon fils, mais a vous, Madame, je veux bien dire que ce n’est qu’un enfant de cire. Ich erschrack schir, wie ich dieße poupe [sahe], den sie gleicht so perfect dem ersten duc de Bretagne, wie ich ihn todt gesehen, daß man meinen solte, er wehre es. Von da fuhr ich au Thuillerie[9], fande den könig quadrille spillen mitt dem duc de Charo[10], den monsieur de Livry, so premier maistre d’autel[11] ist, undt chevallier de Pezeux, so oberster von deß königs regiement zu fuß ist undt einer von seinen edelleütten, so allezeit bey ihm [380] sein; er ist unßer dauphine auß Bayern[12] page geweßen. Von dar fuhr ich ins Palais-Royal, stieg drunten bey madame la duchesse d’Orleans [ab], wo mein sohn zu mir kam, ließ mich hernach wieder herauff tragen, aß mitt mein 3 enckeln undt meine damen, so ich von St Clou nach Paris geführt, alß nehmblich meine dame d’honneur, die duchesse de Brancas, undt meine dame d’attour[13], madame de Chasteautier[14], madame de Maré[15], so der printzessin hoffmeisterin geweßen, auch der königin von Sardaignen undt meiner dochter. Nach dem eßen bekame ich Ewer liebes schreiben von 14, no 28, plauderte mitt meinem sohn undt umb 3 fuhr ich au[x] petitte[s] Carmelitte[s], wo mein enckel, die abtißen von Schelle[16], meiner erwahrt[17]. Wir hatten unß aber kaum ahngefangen zu sprechen, da bekame die abtißen einen brieff von ihrer fraw mutter; die schrieb ihr, zu ihr in ihr closter zu kommen a la Magdelaine[18]. Daß arme mensch ging ungern weg, aber ich schickte sie doch fort, den ich will nicht, daß sie sich beschwehren könte, daß ich ihr ihre kinder abwendig mache, umb ahn mich zu ziehen, schickte sie also a la Magdelaine undt ich ging zur duchesse du Lude undt madame Daugeau. Es kamen noch viel andere damen zu mir, amussirten mich so lang, daß wir gar spät ins gebett gingen, undt wie ich wider kam, hilt mich noch ein ambaras[19] von kutschen lang auff, es war halb 7, wie ich ahnkame. Nach mich selber frug ich nichts, so spat ahnzukommen, den ich weiß dieß opera von Thesée gantz außwendig, aber ich hatte rendevous ahn 2 junge printzessinen geben, alß mademoiselle de Clermont undt mademoiselle de la Rochesurion[20], aber es war meine schuldt nicht. Gleich nach dem opera sagte ich meinem sohn adieu, stiege wider in kutsch, wie ich kommen war, undt fuhr her, aß wenig zu nacht, nur ein wenig brodt undt wein, ging gleich schlaffen. Da wist Ihr nun meine gantze Parisser reiße. Man gewohnt sich nun, mir auch unßere[r] lieben printzes von Wallis schreiben 2 undt 2 auff einmahl [zu geben]; die ursach ist schwer zu erahten. Ich bin hir noch nicht in so perfecter gesundtheit, alß [381] ich geweßen, wie ich von St Clou nach Paris ging; aber ich bin ohnvergleichlich beßer, alß ich zu Paris war. Madame Dangeau hab ich gleich ihrer fraw schwester brieff geschickt. Die graffin von Solms, so ihren herrn sohn verlohren, jammert mich woll von hertzen, ist ein abscheülich unglück. Aber da sicht [man], daß man nicht eher stirbt, alß die stundt bestelt ist; den dießer graff keine gefahr auff der see außgestanden undt sich in der Nide[21] erseüfft, ist woll zu bejammern; aber weillen er from gestorben, wirdt er nun woll glücklich sein undt in der ewigen freüden sein. Es schaudert einem recht, wen man ahn solche unglück gedenckt. Hiemitt ist Ewer liebes undt letztes schreiben vollig beantwortet. Dießen nachmittag werde ich daß vom 11, no 27, ob gott will, auch außschreiben, wirdt also ein fein brieffgen werden von raisonabler taille, wie ichs Eüch versprochen. Aber nun muß ich meine pausse machen, den es ist zeit, daß ich mich ahnziehe, in kirch gehe, hernach zum eßen gehe. Nach dem eßen werde ich Eüch ferner entreteniren, liebe Louise, nur noch sagen, umb diß blat voll zu schreiben, daß man vor 3 tagen dans la rüe Jacob einen menschen gefunden, so sehr gallonirt undt parirt war, so sich selber erhengt. Man weiß noch nicht, wer es geweßen.
Donnerstag, den letzten April, umb halb 2 nachmittags.
Es ist eine viertelstundt, daß ich von taffel bin. Es ist ohnmöglich, heütte zu spatziren fahren oder zu gehen, den wie ich Eüch schon gesagt, liebe Louise, so ist es heütte ein gar kalt undt heßlich wetter. In dießem augenblick entpfang ich Ewer paquet undt liebes schreiben vom 18 April, no 29, mitt der machine, welche ich große mühe habe in ordenung zu setzen, den es seindt mehr cartten, alß kerffen undt portiquen. Dancke vor alles gar sehr, liebe Louisse, will jetzt ahnstatt ahn daß vom no 27 ahn daß vom 29 andtwortten. Daß ist nun eine gantz außgemachte sache, daß Ihr allezeit eine post sein müst ohne meine brieff undt eine, wo zwey auff einmahl kommen. Von meiner gesundtheit werde ich nichts mehr sagen; den heütte morgen habe ich alles gesagt, waß drauff zu sagen ist. Seydt also in keinen sorgen mehr, liebe Louisse! Übermorgen wirdt es 14 tag sein, das ich, gott seye [382] danck, wieder hir; habe Eüch den morgen, alß ich von Paris weg bin, noch geschriben, aber nur ein klein brieffgen, ehe der konig kommen. Ihr habt gar woll gerahten, liebe Louise! den ehe ich hir geschlaffen, ist mir schon mein Parisser kopffwehe vergangen. Mein sohn undt sein sohn seindt, gott lob, in gar perfecter gesundt[heit]; ich habe sie, wie ich Eüch schon gesagt, vergangenen sontag gesehen. Der schlaff ist mir gar woll widerkommen, aber mitt dem eßen gebt es noch waß schlapies her, doch beßer, alß zu Paris. Ach, liebe Louise, ich bin Eüch sehr verobligirt, liebe Louise, mir ein trost einzusprechen wollen, aber daß temperament, die zeitten undt umbständen thun viel dazu, den man ist nicht einen tag wie den andern. Die örter endern auch viel den humor, ich bin nie so unlustig hir, alß zu Paris. Zu Paris irret mich eine mück ahn der wandt, den man lest mir kein augenblick ruhe; es geht mir immer dort, wie in der commedie des facheux[22]; wen ich eine sache thun will, muß ich eine andere thun, werde in alles interompirt. Aber da sehe ich mein sohn auff der brück drunden, werde also meinen brieff nicht so lang machen können, alß ich es gewünscht. Die gutte fraw von Meyercrom[23] hatt alß daß lutterische liedt gesungen, so Ihr, liebe Louise, cittirt, aber Lenor hatt alß gelacht undt ich auch, wen sie gesungen, den sie sunge alß alleseydt vor allezeit. Raisonementen helffen wenig, wo ein gemühte recht touchirt ist; die zeit muß daß beste dabey thun. Ach, wolte gott, liebe Louise, daß Ihr sonsten kein creütz hettet, alß meine unpaßlichkeit! den die fengt schon ahn, sehr zu vergehen. Daß große alter, worin ich nun falle, ist nur daß argste bey mir. St Clou gibt mir doch wider krafft undt stärcke. Biß sambstag abendts umb dieße zeit werde ich Eüch doch mitt ein par wordt berichten, wie ich mich nach meiner aderläß befinde. Ich bitte Eüch, danckt doch den graff Degenfelt undt seine gemahlin, sich, so unbekandt ich ihnen auch bin, sich doch so sehr vor meine gesundtheit zu interessiren! Monsieur le Fevre ist noch nicht woll, er kan sich nicht resolviren, ins baadt zu reißen, undt man sagt, es seye doch daß eintzige mittel, zu verhindern, daß er nicht lahm bleibt. Wen sein arm undt bein so gesundt wehren alß sein kopff, were er in [383] perfecter gesundtheit. Alle leütte, so starcke eßer sein, fallen in solchen accidenten hir; meines sohns kranckheit ist auch von nichts anderst kommen, alß von zu viellem eßen undt drincken. Daß monsieur le Fevre in allem sein bestes gethan, daß bin ich zeügen[24]; aber es ist viel unglück dazwischen kommen, er verzweiffelt aber doch noch nicht, waß guts außzurichten. Ihr kont woll gedencken, liebe Louisse, daß ich alles thun werde, waß bey mir stehen kan; Ewern niepcen zu dinnen, undt ich habe monsieur le Fevre gesagt, mich nicht zu sparen, sondern, wo er meiner von nohten hette, mir es zu wißen zu thun. Monsieur le Fevre in seiner wehrender kranckheit hatt allezeit mitt monsieur le Roy, meinen advocatten, so ein ehrliches, verstandiges mangen[25] ist, gearbeydt. Man hort von nichts, alß unglück; mein sohn hatt mir viellerley unglück verzehlt, so vorgangen. Die große mode ist, in kutschen umbzuwerffen. Die arme gräffin von Rottelheim[26] jamert mich woll von grundt meiner seellen. Gott wolle ihr beystehen! S[o] dieße gräffin meint, daß Ihr kein mittleyden mitt ihr über ein solch groß unglück hatt[27], so muß sie Eüch woll gar nicht kenen. Processen sollen nie verhindern, daß leütte von großer qualitet, alß reichsgraffen sein, einen solchen haß geben solten, daß kein unglück sie jammern solte. Daß were waß abscheüliches, daß kan nicht sein, liebe Louise! [Das] sprichwort, so Ihr cittirt, finde ich sehr raisonabel: Der sachen feindt undt der personnen freündt. Mein tag habe ich kein artiger kindtgen gesehen, alß unßer infantien ist. Daß ist gewiß, daß alle lander, so naher bey der sonnen sein, mehr verstandt, alß andere leütte. In Portugal werden die medger[28] so geschwindt reiff, daß sie in ihrem 9ten jahr ihre zeit haben, im 10 jahr kinder bekommen undt in 30 jahr verlihr[e]n sie ihre zeit, auch woll gar im 25 jahr undt scheinen alt, wie man bey unß im 50 jahr ist. Wen ich ein wenig zeit vor mir haben werde, will ich versuchen, ob ich die kunst mitt den portiquen undt kartten finden kan. Ich fürchte, es wirdt Ewer kleinen niepce leydt gethan haben, daß Ihr ihr ihre perspective genohmen habt, jammert [mich] recht drüber. Wie kompt, daß Churmaintz[29] sich so eingezogen helt? Aber die warheit zu bekenen, so begreiffe ich beßer, wens bey einen stehet, niemandts [384] zu sehen, alß bey vielen leütten zu sein. Adieu, liebe Louise! Ich habe noch vor dem nachteßen 2 brieff zu schreiben, einen ahn madame de Dangeau, daß ander schreiben wirdt eine andtwordt ahn monsieur von Harling sein. Hirbey kompt ein schreiben von madame Dangeau vor ihre fraw schwester, die fürstin von Ussingen, ist die andtwort auff daß, so Ihr mir geschickt habt, liebe Louise! Gutte nacht, ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch, so lang ich lebe, recht lieb. Ich habe noch kein augenblick zeit gehabt, die schraubthaller zu besehen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. April 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 378–384
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1323.html
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