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Brief vom 26. März 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1314.


[353]

A madame Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Franckforth.

Paris den 26 Mertz 1722 (N. 78).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts, alß ich von hoff kam, fundt ich umb 6 abendts Ewer liebes schreiben vom 14 Mertz, no 26, auff meiner taffel, welches ich hiemitt gleich beantwortten [354] werde undt bey Eüch, liebe Louisse, ahnfangen, damitt ich Eüch gewiß nicht fehlen mag. Es ist nicht vor mich in sorgen zu sein, wen ich in die lufft gehe; den daß ist mir allezeit gesundt undt hatt mir mein tag nichts geschadt. Zu Paris kan ich der lufft wenig genießen, bin, seyder ich von St Clou, nicht einmahl in die frische lufft komen alß den tag, wie ich die infantin eingeholt; ich bin nicht einmahl in einen gartten kommen. In den Thuillerien mag ich nicht spatziren, es seindt zu viel leütte drinen. Seyder deß könig todt undt unßer burgerliches leben zu Paris bin ich sehr leütt-scheü geworden; mitt einem wordt, alles ist mir verleydt. Kein tumult, liebe Louise, kan mich nie vergeßen machen die, so ich recht lieb habe. Es ist mir genung, zu wißen, daß meine schreiben Eüch ahngenehm sein, umb Eüch keine fehlen zu laßen. Man befindt sich allezeit woll darbey, exact in allem seinem thun undt laßen zu sein, undt ligt nur ahn der gewohnheit. Es hatt mir gar nichts geschadt, ein wenig spatter, alß ordinarie, geschrieben zu haben. Ich glaube woll, daß, wen ich auß dem spatten schlaffengehen eine gewohnheit machen solte undt wie zu deß königs s. zeitten nie vor 1 uhr zu bett gehen solte, daß mir dießes nicht woll bekommen solte. Es war noch woll arger, den ich schriebe nachts biß umb 4 undt 5 morgendts; daß ist, die warheit zu bekennen, nicht gesundt, macht einem hernach den gantzen tag schläfferig undt thum. Aber daß thue ich nicht mehr; daß allerspätzte, wo ich nun zu bett gehe, ist 11 uhr. Alle große herren seindt jetziger zeitten so bitter übel erzogen, daß man von ihnen sagen kan, wie die fraw von Rotzenhaussen alß p[f]legt zu sagen, wen sie jemandts gar thum[1] sicht: Dießer weiß nicht mehr, wer der[2] ist. O liebe Louise, wie ist Ewer exces de politesse so gar unnöhtig undt lautt so complimentisch, zu sagen, daß Ihr mir[3] umb vergebung wegen Ewer ungeschicktes begehren [bittet]. Daß seindt heßische complimenten undt nicht von unßerm pfaltzischen hoff, da man viel naturlicher sprach, alß so. Aber daß naturliche sprechen mag woll nicht so gar regullirt in der politesse sein, ist aber viel nobler undt expressiver undt mehr, wie man denckt, also gar gewiß beßer. Ich glaube nicht, daß man in der welt ein artiger undt verständige[re]s kindtgen finden kan, alß unßere kleine, infantin[4] ist. [355] Sie hatt reflectionen wie ein mensch von 30 jahren, sagte gestern: On dit que quand on meurt a mon age, qu’on est sauvés[5] et va droit en paradis. Que je serois heureusse donc, si le bon dieu me voulloit prendre[6]! Ich finde, daß diß kindt zu viel verstandt hatt, fürchte, daß es nicht leben wirdt bleiben[7]; man erschrickt recht, wen man es reden hört, undt hatt die artigste maniren, so ein kindt haben mag. Ich habe ihr gnade gewuhnen[8], sie leüfft mir mitt offenen armen entgegen biß in ihrer antichambre, ambrassirte mich von hertzen. Mitt dem könig stehe ich auch nicht übel. Ich habe gestern seine[n] hoffmeistern einen possen gethan, so mich recht divertirt hatt. Sie seindt so jalous vom könig, meinen alß, man sage etwaß gegen ihnen, habe sie braff erdapt. Vorgestern hatt der könig eine windt-colique gehabt; gestern kam ich gantz ernstlich zum könig, steckt ihm ein zettelgen in der handt; der marechal de Villeroy wurde gantz ambarassirt, fragte mich gar ernstlich: Quel billiet donnes vous la[9] au roy? Ich andtwortete eben so serieux: C’est un remede contre la colique des vents; der marechal: Il n’y a que le premier medecin du roy qui luy propose des remedes. Ich andtwortet: Pour celuycy je suis sur[10] que monsieur Dodart[11] l’a[p]prouvera; il est mesme escrit en vers et en chanson. Der könig, gantz ambarassirt, laße eß heimblich, fing gleich ahn, zu lachen. Der marechal sagte: Peust[12]-on le voir? Ich sagte: O, ouy, il n’y a point de secret. Er fandt drin dieße folgende wördter:
Vous qui, dans le mezantaire[13],
[356] Aves [des] vents impétueux,
Il[s] son[t] dangereux.
Et pour vous en défaire.
Pétez!
Petés[14]! vous ne sauries[15] mieux faire,
Petéz,
Trop heureux de vous défaire d’eux!
A ces malheureux.
Pour donner liberté tout entière,
Pettez[16]!
Petez! vous ne sauries[17] mieux faire;
Pettez,
Trop heureux,
[De vous] délivrer d’eux[18]!
Es wurde ein so[lch] gelachter im cabinet, daß ich mirs schir gereüet hette, den poßen ahngestelt [zu haben]; den der marechal de Villeroy wurde gantz bedutelt drüber. Diß ist noch ein alter streich von meiner jugendt. Hir haben wir dolle historien. Eine dame, so noch unverheüraht ist, hatt einen courageussen mort begangen. Einer, so ihre schwester geschwängert undt sie nicht hatt heü[ra]tten [wollen, hat] einen von ihren brüdern ermordt undt durch ein fenster [357] erschoßen, dem jüngsten bruder daß gesicht balaffrirt[19] undt umb daß gantze geschlegt zu verunehren, hatt er vorgeben, er hette mitt der mutter zu thun gehabt, konte derowegen die dochter nicht heürahten. Mademoiselle de St Estiene[20], alß sie gesehen, daß ihr noch lebender bruder nicht hertz genung hatte, die schande von seinem hauß zu rechnen[21], ist sie zu dem monsieur des Escarts gereist, hatt zu ihm gesagt: Vous aves deshonores[22] ma famille tout entiere; vous pouves[23] le reparer en espoussant[24] ma soeur. Prenes[25] garde a ce que vous me respondres[26]! Car si vous ne me respondes[27] pas bien, vous poures[28] vous en respentir[29]. Reguardes moy[30] bien! Me recognoisses[31] vous? Er sagte: Ouy[32], je vous cognois[33] bien; vous estes[34] mademoiselle de St Estiene, mais je n’espousseres[35] pas vostre[36] soeur, quoyqu’[37] elle soit grosse de moy[38]. Da nimbt mademoiselle de St Estiene eine geladene pistol, so sie im sack hatt, undt schiest sie ihm durch den kopff. Er hatt doch noch etlich stundt gelebt undt gewinckt, daß er ihr sein todt vergebe. Man sollci[ti]rt thun ihre[39]. Ich finde, daß diß ehrlich mensch der gnaden woll wehrt ist[40]. Noch eine wunderliche historie, so wir hir haben, ist von einen jungen pfaffen von 21 jahren, so, weillen er woll studirt hatt undt man deßwegen zu mademoiselle de Vermandois gethan hatte, umb ihr Lattein zu lehrnen[41]. Dießer junge abt ist verliebt von mademoiselle de Vermandois geworden, undt daß hatt ihn gantz narisch gemacht, hatt ahn madame la [358] duchesse geschrieben, daß er sie heürahten wolle, hatt dießer jungen printzes liebs-brieff über liebs-brieff geschrieben. Die abtißin hatt der printzes die brieff nicht geben, sondern den beichts-vatter vom closter zu dem jungen abt geschickt undt ihm die brieffe wieder geben laßen undt dabey ernstlich verbietten laßen, nicht mehr zu dem closter zu nahen. Der junge abt hatt geantwort: Ich sehe woll, waß es ist; du bist mein rival undt wilt mir die printzes entwenden. Es ist erlaubt, sei[ne]m rival daß leben zu nehmen. Eine pistol, so er im sack hatt, schist er dem armen beichts-vatter durch den kopff, daß er mauß-todt felt[42]. Man hatt ihn condamnirt, gerädert zu werden, aber madame la princesse solicittirt sehr starck vor den armen narren, daß man ihn vor allezeit einsperren, aber nicht rädern mag, weillen er ja nur ein bloßer narr ist, so gar nicht weiß, waß er thut oder sagt. Waß aber noch drauß werden wirdt, weiß ich nicht; wen ich es erfahre[n] werde, will ichs Eüch berichten[43]. Alleweill kompt man mir sagen, daß mademoiselle de St Estiene ihre gnade hatt. Mich deücht, daß es noch nicht hundert jahr, daß eine gleiche disputte sich erhoben, wie ich noch zu Heydelberg war; bin sehr betrogen, wo es nicht wegen dem fürsten von Öttingen war. Es ist nahe bey 60 jahren, wovon ich spreche, ich weiß aber nicht, ob ich mich nicht in den nahmen betriege. Hir geschehen etlich mahl sachen, so ich nicht glauben kan, daß Salomon sein leben davon gehört hatt[44], alß zum exempel, wie die Poliniac[45] zu ihrem man gesagt: Je suis grosse; vous saves[46] bien que ce n’est pas de vous; je vous cons[e]ill[e] de n’en pas faire de bruit, car, si on mest[47] cela en proces, vous perdres[48], parce que vous saves[49] qu’il est dans les loix[50] de ce pais cy[51], que tout [359] enfant nay[52] dans le mariage ap[p]artient au mary[53]; aussi il sera a vous, de plus je vous le donne. Daß halte ich vor gar neü unter der sonnen. Seyder 3 tag ist der regen eingefahlen undt es regnet noch. Ich bin recht froh, daß Ewer elsten niepce kinder wieder gesundt sein. Gott verley ihr trost! Man kan nicht mehr meritten haben, alß dieße niepce hatt, wie mir sie die printzes von Wallis beschreibt. Sie hatt mir ihren verstorbenen man auch sehr gerümbt. Es seindt viel leütte, so viel verstandt haben undt doch nicht gern sprechen. Ewer niepce ist woll zu entschuldigen, etliche zeit geweßen zu sein, ohne Eüch zu schreiben; in solche abscheülich [betrübnis] ist man lang, ohne fähig zu sein, daß geringste zu schreiben oder zu sagen. Sie ist auch eine post geweßen, ohne mir zu antworden; aber wen sie gleich noch lenger geweßen wehre, ohne mir zu andtwortten … Den ich weiß leyder nur gar zu woll, wie es einen ist, so die verliehrt, so man von grundt der seelen lieb hatt. Wen man gutt mitt raison ist, wie Ihr es seydt, liebe Louise, kan man sich nichts nicht vorwerffen, gar zu gutt zu sein. Ich bin froh, daß dem[54] vetter, der landtgraff, wider beßer ist. Ich weiß nicht, ob er sehr wünscht, daß ihn der konig in Schweden besuchen möge, den daß macht große unkosten undt bringt wenig profit. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vom 20sten vollig beantwortet, liebe Louise! Ich bin heütte woll erschreklich interompirt worden. Umb 4 ist der könig kommen, habe ihn bey sein … begleydten[55] müßen, hernach biß in die sahl[56] des gardes. Wie ich wider herein, ist die hertzogin von Hanno[v]er kommen, hernach die groß printzes de Conti, nach dießer madame la duchesse d’Orleans, so gar lang geblieben, biß jetzt; hatt schon halb 10 geschlagen. Adieu, hertzliebe Louise! Ich glaube nicht, daß Ihr dießen brieff werdt leßen können, muß fohler[57] fehler sein, kan ihn aber ohnmoglich überleßen. Ich schicke Eüch hirbey … Daß schönste feüerwerck solle daß vom duc d’Ossonne[58] geweßen sein. Hirbey kompt auch die andtwort von madame Dangeau ahn die fürstin von Ussingen. Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch recht lieb, so lang ich lebe.
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Brief vom 26. März 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 353–359
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1314.html
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